Auswirkungen, Themen und Trends
Was macht die Grünen so erfolgreich?

Umwelt und Energie sind die Kernkompetenzen der Grünen. 64 Prozent bescheinigten den Grünen in einer Umfrage von Infratest dimap, dass sie eine gute Umweltpolitik betrieben. Bei der Energiepolitik waren es immerhin 38 Prozent. Mit dieser Kompetenz und diesen Themenschwerpunkten konnten die Grünen ein Ergebnis von 12,1 Prozent einfahren und damit ihren Stimmenanteil gegenüber 2005 fast verdoppeln. Mit diesem Zuwachs im Rücken hoffen die Grünen auf eine Koalition mit SPD und Linkspartei, schließen aber auch ein Bündnis mit der FDP nicht aus. Die zum linken Parteiflügel zählende Landeschefin Daniela Schneckenburger rief die SPD am Montagmorgen nach der Wahl auf, ihr Verhältnis zur Linkspartei möglichst schnell zu klären.

Der grüne Landesvorsitzende Arndt Klocke betonte, seine Partei sei „für die Linke offen“. Bedingung sei allerdings der Abschluss eines verbindlichen Koalitionsvertrages. Auch müsse die Linke bereit sein, Minister zu stellen und damit Regierungsverantwortung übernehmen.

Die Regierungsbildung in NRW gilt nach dem äußerst knappen Wahlergebnis als schwierig: Rot-Grün scheitert wie Schwarz-Grün – beiden Bündnissen fehlt im Düsseldorfer Landtag eine Stimme. Für die Grünen ist deshalb auch eine Ampel zusammen mit SPD und Liberalen denkbar, sollten sich die Sozialdemokraten einer Koalition mit der Linkspartei verweigern: „Wir sind natürlich bereit, auch mit der FDP zu sprechen“, betonte die NRW-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. „Rot-Grün plus“ nennt das die linke Parteichefin Schneckenburger.

Keine „Wünsch-dir-was-Politik“

Für Steuersenkungen mitten in der Krise der Staatsfinanzen, für eine „Umverteilung von oben nach unten“ stünden die Grünen aber nicht zur Verfügung, unterstrichen die beiden grünen Landeschefs. „Ein stabiles Bündnis mit den Linken wäre mir lieber als die Ampel“, so der Realo Klocke. Die Parteilinke Schneckenburger revanchierte sich mit einer Warnung an die Linkspartei: Für eine nicht finanzierbare „Wünsch-dir-was-Politik“ stünden die Grünen nicht zur Verfügung, sagte sie – und erteilte der von den Linken gewünschten Vergesellschaftung großer Energiekonzerne schon einmal eine Absage.

Einig waren sich die beiden Parteivorsitzenden Klocke und Schneckenburger in ihrer Ablehnung einer großen Koalition – schließlich könnten die Grünen die Regierungsbeteiligung trotz verdoppelter Fraktionsstärke so erneut verpassen. Die schwarz-gelbe Koalition des noch amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers sei klar abgewählt worden – Rüttgers’ CDU war mit einem Verlust von 10,3 Prozentpunkten auf 34,6 Prozent abgestürzt, die SPD liegt bei 34,5 Prozent. Die SPD ködern wollen die Grünen deshalb mit dem Amt der Regierungschefin: Nur ein Dreierbündnis, werben sie schon heute, biete Kraft „die Chance, Ministerpräsidentin zu werden“. WYP

Wen haben die Jungen gewählt?

Die Jungen haben am Sonntag eindeutig die kleineren Parteien bevorzugt. Der größte Profiteur dieser Entwicklung waren die Grünen, die bei den jüngeren und mittleren Altersgruppen überdurchschnittlich zulegen konnten. Nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen erreichten die Grünen bei den 18- bis 44-Jährigen 17 Prozent. Die Grünen liegen auch bei den Wählern zwischen 45 und 59 Jahren über ihrem Gesamtergebnis. Nur die über 60-Jährigen konnten sich kaum für grüne Themen begeistern, bei ihnen stimmten 5 Prozent für Grün. Profiteur dieses Trends war auch die FDP. Sie lag in der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren mit 7 Prozent leicht über ihrem Gesamtergebnis.

Größter Verlierer in der Gunst der Jungen ist die CDU. Von den 18- bis 24-Jährigen stimmt nicht einmal jeder Vierte (23 Prozent) für die Christdemokraten. Bei den 25- bis 34-Jährigen waren es 28 Prozent. Die CDU hat ihr größtes Potenzial bei Wählern, die älter als 60 Jahre sind. Sie stimmten mit 44 Prozent für die Christdemokraten. Dieser Trend ist bei der SPD ähnlich, allerdings nicht so stark ausgeprägt: Bei den 18- bis 24-Jährigen stimmten immerhin noch 30 Prozent für die SPD, bei den über 60-Jährigen waren es 39 Prozent.

Nur die Linkspartei hat bei den Jungen keinen erkennbaren Bonus: 6 Prozent der 18- bis 34-Jährigen stimmten für die Linken. Sie lagen damit im Durchschnitt der Gesamtwählerschaft.

Leichte Flaute für Piratenpartei

Bemerkenswert ist der Erfolg der Piratenpartei in der Gruppe der Jung- und Erstwähler. In dieser Gruppe stimmten immerhin 7 Prozent für die Piraten. Insgesamt waren es allerdings nur 119.600 Wähler, die ihr Kreuz bei den Piraten machten – 1,5 Prozent. Kein ganz schlechtes Ergebnis für eine kleine, junge Partei, aber eines, das nicht nur unter dem viel zu optimistischen Ziel liegt, das sich die Partei selbst gesteckt hat, sondern auch unter dem Ergebnis der Bundestagwahl vom September 2009. Der Sonntag brachte die erste kleine Flaute für die Piraten.

Im vorigen Jahr hatte sich die Mitgliederzahl vervielfacht, derzeit liegen die Piraten bei etwa 12.000 Mitgliedern. Immerhin hatten bei der Bundestagswahl 850.000 Stimmen für die Piratenpartei – das entspricht 2 Prozent – die etablierten Parteien überrascht und ihnen klargemacht, das Thema Internet verschlafen zu haben. Die Parteien reagierten – etwa mit Dialogreihen mit der Internetgemeinde, wie es CDU-Innenminister Thomas de Maizière tut, oder indem sie wie die SPD einen Gesprächskreis „Netzpolitik“ gründeten. Zudem setzte der Bundestag eine Enquetekommission ein, in der die wichtigsten Vertreter der Netzcommunity als Experten zugegen sind.

Ob all das dazu beigetragen hat, dass die Wähler den etablierten Parteien mehr Kompetenz beim Thema Internet zuschreiben, sei dahingestellt. fest steht: Für die Piratenpartei ist die Zeit des rasanten Wachstums vorbei. WOS, THG

Welche Themen haben die Wahl entschieden?

Arbeit und Bildung waren die beiden wahlentscheidenden Themen in Nordrhein-Westfalen. Nach der am Montag veröffentlichten Wählerbefragung der Forschungsgruppe Wahlen hielten 42 Prozent der Wähler das Thema Arbeitsplätze für das brennendste Thema im Land, für einen fast gleich großen Anteil von 41 Prozent stand die Frage nach dem künftigen Schulsystem auf Platz eins ihrer politischen Prioritätenliste. Damit erlebte die Bildungspolitik eine „fast untypische Konjunktur“, erläutert der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, der taz. Traditionell interessierten sich die Wähler weitaus stärker für den Erhalt von Arbeitsplätzen.

Die Forscher befragten eine Woche vor der Wahl rund 1.500 Menschen telefonisch und interviewten am Wahltag über 9.000 Personen. Auf dem dritten Rang der wichtigsten Wahlkampfthemen sahen die Menschen die finanzielle Lage der Kommunen, jeder sechste hatte sie als Top-Thema angegeben. Gezielt gefragt nach einzelnen Themen, hielt ein Drittel der WählerInnen Rüttgers’ Spendenaffären für relevant, gut die Hälfte gab die Griechenlandpolitik der Bundesregierung als wichtig an, aber wiederum über drei Viertel sahen die Schulpolitik als allerwichtigstes Thema vorn. Insgesamt interessierten sich die Wähler stärker für Landes- als für Bundespolitik und verpassten ihren Denkzettel insofern tatsächlich Jürgen Rüttgers. „Das Thema Schulpolitik hat mit Sicherheit den Ausschlag gegeben in Verbindung mit dem leicht ramponierten Ansehen des Ministerpräsidenten“, schlussfolgert Klein.

SPD steht für Bildung

Vom Aufschwung des Bildungsthemas konnte vor allem die SPD profitieren. Sie erzielte den deutlichsten Imagegewinn: 34 Prozent der WählerInnen und damit 6 Prozentpunkte mehr billigen ihr bildungspolitische Kompetenz zu, der CDU hingegen trauen nur 27 statt einst 41 Prozent entscheidende Verbesserungen im Schulsystem zu.

Die SPD hat sich in ihrem Wahlprogramm unter anderem dafür ausgesprochen, Kinder nicht mehr nach der vierten Klasse in verschiedene Schulformen zu sortieren und Haupt- und Realschulen durch Gemeinschaftsschulen (SPD) zu ersetzen. „An diesem Versprechen werden wir sie messen“, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender der in NRW 22.000 Mitglieder zählenden Lehrergewerkschaft Bildung und Erziehung (VBE).

Die bildungspolitische Sprecherin im Düsseldorfer Landtag und stellvertretende SPD-Vorsitzende Ute Schäfer sagte der taz: „Bildung hat eine zentrale Rolle gespielt, weil die CDU auf diesem Gebiet so viel Murks gemacht hat.“ Gemurrt hätten die Menschen über die Einführung von Kopfnoten, Studiengebühren und Beschneidung des Elternwillens beim Übergang auf die weiterführenden Schulen. All das wolle ihre Partei rückgängig machen. Und Gemeinschaftsschulen einführen? „Das hängt davon ab, in welcher Koalition wir sein werden.“ ALE

Wer hat Stimmen verloren und an wen?

Wenn sich die CDU in Nordrhein-Westfalen auf die Suche nach ihren verlorenen Stimmen macht, so blickt sie in einen trüben Kessel. Denn an niemanden haben die Christdemokraten so viel verloren wie ans Nichtwählerspektrum. Laut den Wählerstrom-Analysen von Infratest dimap blieben 330.000 ehemalige CDU-WählerInnen am Sonntag daheim.

Rechnet man die 110.000 Stimmen für Splitterparteien hinzu, haben sich insgesamt 440.000 Ex-CDU-Wähler für eine reine Protestnote entschieden. Zum Vergleich: Die SPD verlor aktuell 130.000 WählerInnen ans Nichtwählerlager, 50.000 an die Kleinstparteien.

Die Grünen haben laut Infratest dimap ein Achtel ihrer knapp 950.000 Stimmen aus dem schwarz-gelben Lager hinübergezogen: 90.000 Ex-CDU-Stimmen sowie 30.000 Ex-FDP-Stimmen. Für die beliebte These der „Auflösung der Lager“ reicht das nicht unbedingt, zumal die Forschungsgruppe Wahlen maß, dass 81 Prozent der Grünen-Wähler wie 81 Prozent der SPD-Wähler weiterhin klar für Rot-Grün sind.

Den Grünen gelang es als einziger Partei über der Fünfprozenthürde, WählerInnen vom Sofa zu holen: 80.000 Stimmen gewannen sie aus dem Nichtwählerspektrum. Der grüne Erfolg lässt sich in den Infratest-dimap-Zahlen quer durch die sogenannten Strukturdaten ablesen: Auch in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit oder mit schwacher Wahlbeteiligung hatten die Grünen über 11 Prozent. Selbst im ländlichen Raum waren sie mit 10 Prozent immerhin zweistellig.

Anders als die Grünen selbst nahelegen, wurden sie vermutlich wegen des Ökofaktors gewählt. In den Kompetenzzumessungen trauen den Grünen 64 Prozent der Befragten gute Umweltpolitik zu, jedoch nur 7 Prozent gute Bildungspolitik. Hier führt mit Abstand die SPD, der 40 Prozent gute Bildungspolitik zuschreiben.

Rolle Griechenlands unklar

Die Rolle der Griechenland- und Eurokrise bei der Wahlentscheidung wird von der CDU möglicherweise überschätzt. Die Umfragen ergeben ein undeutliches Bild vom Bürgerwillen. Die Forschungsgruppe Wahlen hat gemessen, dass die Griechenlandkrise für 56 Prozent der WählerInnen entscheidungsrelevant war, die CDU-Affären im Land dagegen nur für 38 Prozent der Befragten.

Aber in welche Richtung? Einerseits finden in den Infratest-dimap-Statistiken 58 Prozent der Befragten Merkels Bewältigung der Eurokrise gut, nur 32 Prozent nicht gut. Andererseits finden 48 Prozent der Befragten die aktuellen Entscheidungen in der Eurokrise nicht richtig, nur 40 Prozent richtig. Jedenfalls aber trifft die aktuelle Eurokrisenpolitik bei den CDU-Wählern ganz überwiegend auf Zustimmung (72 Prozent). Von den Wählern der Grünen, die im Bundestag ebenfalls für Merkels Eurorettungsgesetz gestimmt haben, sind immerhin 49 Prozent dagegen, nur 47 Prozent der Befragten dafür. UWI