„Man sollte jede Zeit respektieren“

„Die Spieler gehen ja nicht wegen des Geldes nach Bochum. Aber wir bieten etwas an, was ich authentisch vertreten kann“ „Ich habe mir dann ein Jahr Auszeit genommen, um gedanklich aus der Fußballwelt heraus zu kommen“

INTERVIEW: HOLGER PAULER
UND CHRISTOPH SCHURIAN

taz: Herr Kuntz, wie wir hören, soll der Bochumer Aufsichtsrat schon mal die Verpflichtung des Hamburger Abwehrchefs Daniel van Buyten durchgerechnet haben. Können Sie das bestätigen?

Stefan Kuntz: Das ist wohl eher ein interner Witz des Aufsichtsrats. Ich halte das aber für sehr unwahrscheinlich.

Kann der VfL Bochum denn ohne die Verpflichtung von großen Spielern in der Ersten Bundesliga bestehen?

Damit treten Sie den schon verpflichteten Spielern wie Christoph Dabrowski und Oliver Schröder auf die Füße. Wenn Stammspieler aus Hannover und Berlin zu uns kommen, dann zeigt das: Es gibt Wege zu guten Verpflichtungen, ohne van Buyten durchrechnen zu müssen.

Reicht das, um den Rekordaufsteiger nach 13 Jahren Auf und Ab wieder zu stabilisieren?

Es ist unser Anspruch, uns möglichst in der Ersten Bundesliga zu stabilisieren und die Nische zu besetzen, die sich zwischen Dortmund und Schalke auftut. Die Spieler gehen ja nicht wegen des Geldes nach Bochum. Aber wir bieten etwas an, was ich authentisch vertreten kann, weil es mir während meiner Profizeit auch geholfen hat.

Nämlich?

Eine große Familie. Ein Verein, in dem jeder jeden kennt und jeder mit jedem zu tun hat und die Spieler sich sehr wohl fühlen. Bei uns werden die Spieler nicht allein mit Geld entlohnt.

Sondern mit Nestwärme?

Ganz genau. Deshalb werden bei uns auch die Gespräche mit Spielern so intensiv geführt. Wenn ich den Eindruck habe, dass ein Spieler das nicht versteht, passt er nicht zum VfL Bochum.

Ist Ihr Konzept nicht rückwärts gewandt? Es ist Ihre Geschichte, die Sie da verkaufen.

Ich habe mit mäßigem Talent eine überdurchschnittliche Karriere machen können. In den Vereinen, wo es nicht so zuging wie in Bochum, hatte ich Probleme. Ich glaube, dass liegt an einer bestimmten Sensibilität von Spielern. Das zeigen ja auch andere kulturelle Gebiete: Künstler sind häufig sensibel. Das kann sich leistungsfördernd, aber auch hemmend auswirken.

Bochum, eine Mannschaft für Sensibelchen?

Von mir aus können Sie das so umdrehen. Aber hat Jürgen Klinsmann nicht beim Confederation Cup diesen besonderen Teamgeist entwickelt? Haben wir nicht bei der Fußballeuropameisterschaft 1996 diesen besonderen Teamgeist entwickelt und den Titel geholt?

Sie stehen also voll hinter dem Klinsmann-Konzept der Fußballbegeisterung?

Das kann ich nicht in Gänze beurteilen. Aber Sensibilität ist eine ausgeprägte Wesensart vieler Spieler. Mit einer richtigen Führung hilft man ihnen weiter. Es gehört auch zur Betreuung, dass der Sportdirektor so etwas übernimmt. Ich selbst habe ja alles durchlebt, habe alle Fehler gemacht. Wenn man das weitergibt, wenn man Lösungswege aufzeigt, die Entscheidung aber letztlich dem Spieler überlässt, ist das der optimale Weg.

Wer führte Sie denn, als sie 1983 nach Bochum kamen?

Das waren einige der alten Spieler, Trainer Rolf Schafstall und meine Polizeikollegen. Das war eine perfekte Rundumbetreuung. Frau Ternow und Frau Jewers auf der Geschäftsstelle haben mir am Anfang sogar die Banküberweisungen ausgefüllt.

Und machen das jetzt wieder.

Mittlerweile geht das schon allein. Als ich dann nach Uerdingen wechselte, war es umgekehrt. Da war ich der Millioneneinkauf und die anderen Spieler haben gedacht: Was sollen wir dem helfen, der ist ein gestandener Mann. Das war eben nicht so, denn ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um meine Leistung abzurufen! Dann bin ich nach Kaiserslautern gewechselt, durch meine Eltern ist das ja meine zweite Heimatstadt. Dort brachte ich plötzlich 20 Prozent mehr Leistung, die sie nicht bewusst herauskitzeln können, die im Unterbewussten liegen.

Und mit diesen unerklärlichen 20 Prozent wollen sie jetzt auch den VfL stark machen?

Dann müsste ich die Spieler mit mir vergleichen. Das möchte ich aber niemandem empfehlen. Es geht uns vielmehr darum, das Potential der Spieler auszuschöpfen.

Die größten Erfolge, die Teilnahme am UEFA-Cup, erreichten Klaus Toppmöller und Peter Neururer mit dem VfL Bochum – beides Trainer, die sehr nah am Team waren. Funktioniert das in einem kleinen Verein besser?

Hier wäre eine Gegenfrage möglich: Warum sind diese Trainer nach der Qualifikation für den Uefa-Cup wieder abgestiegen?

Ist der Uefa-Cup also nicht erstrebenswert?

Die Erfahrungen der Vergangenheit sind auch ein Grund, weshalb im Vorstand meine Stelle neu geschaffen wurde. Es soll nicht alles am Trainer hängen bleiben. Vier Augen sehen mehr als zwei.

Was sieht man denn mit vier Augen, wenn Edu in der Nachspielzeit über den Ball tritt und der VfL Bochum aus dem Uefa-Cup ausscheidet?

Dann ist es schon zu spät. Ich muss präventiv tätig sein. In Extremsituationen soll sich der Trainer nur auf die Mannschaft konzentrieren.

Sie sind 1999 nach Bochum zurückgekommen; am Ende des Aufbruchs unter Toppmöller. Was war das für ein Erlebnis?

Das peinliche für mich war, dass ich erst wegen eines Virus drei Monate ausgefallen bin, später kam ein Bänderriss hinzu. Richtig fit war ich eigentlich nie. Ich saß also plötzlich nicht mehr vor, sondern in dem Karren und musste mich mitziehen lassen. Leider haben zu wenige gezogen. Die logische Konsequenz war das Ende meiner Karriere.

Sie sagten damals: „So kann man eigentlich nicht abtreten“. Ist Ihre jetzige Rückkehr der Versuch, die Geschichte zu bewältigen?

Nein, meine Spielerkarriere ist komplett abgehakt.

War Ihre nur zum Teil erfolgreiche Trainertätigkeit für den Rückzug vom Rasen hilfreich?

Ich habe damals meinen Heimatverein Borussia Neunkirchen in der Oberliga trainiert und wir sind Meister geworden. Später bin ich mit Karlsruhe in die zweite Liga aufgestiegen. Ich hab mit Clemens Fritz, Marco Engelhardt oder Danny Fuchs Spieler entdeckt, die heute erfolgreich sind. Man merkte schon, dass ein gutes Auge vorhanden ist und ich den Leuten etwas vermitteln kann. Später traf ich sicher Fehlentscheidungen mit Waldhof Mannheim oder LR Ahlen. Die Vereine sind aber nach meiner Entlassung jeweils noch weiter abgestürzt, was sicher nicht auf die Arbeit der Trainer zurück zu führen ist. Ich habe mir trotzdem überlegt, ob das der richtige Job ist, mir dann ein Jahr Auszeit genommen, um gedanklich aus der Fußballwelt heraus zu kommen.

Wie haben Sie das gemacht?

Ich war zuhause. Ich hab mich gefühlt wie ein Arbeitsloser. Nicht finanziell, aber mental. Die ersten drei Wochen waren schön, danach wurde es immer schlimmer. Über diese Zeit würde ich gerne einmal ein Buch schreiben. Über die Selbstzweifel, die auftraten. Am Anfang rufen noch Leute an, nach drei Monaten überprüfst du, ob dein Handy noch aufgeladen ist. Nach einem halben Jahr rufst du dich selbst an, nur um den Klingelton mal zu hören. Im Nachhinein betrachtet war die ganze Entwicklung aber wichtig, um wieder eine gewisse „Erdung“ zu erlangen.

Wie sind Sie da herausgekommen?

Ich habe das Fernstudium „Modernes Fußballmanagement“ begonnen und gemerkt: Hier kannst Du Deine Kreativität ausleben und Ideen umsetzen. Die Motivation war wieder da und in meinem Kopf hat es gearbeitet. Ich musste mich also entscheiden, ob ich weiter Trainer bleiben will. Dabei haben dann sogar Mental-Trainer und Leute, die aus der kirchlichen Ecke kommen, zu helfen versucht. Es kommen dann meist Omas Weisheiten wie: „Du musst lernen, los zu lassen“. Ein Interview mit meiner Heimatzeitung war am Ende entscheidend. Mir wurde die Frage gestellt, ob ich mich jetzt endgültig vom Trainerjob verabschiedet hätte. Ich hab dann einfach „Ja“ gesagt. Das ist mir eher herausgerutscht. Einen Tag später habe ich ein Angebot eines Regionalligisten als Trainer abgelehnt. Wieder einen Tag später kam das Angebot vom TuS Koblenz – als Manager.

Sie waren immer schon der „geerdete“ Typ – Polizei, Saarland, das Ruhrgebiet. Fühlen Sie sich hier 23 später immer noch zuhause?

Im Kern hat sich nicht viel geändert. Der VfL hat mit dem VfL Bochum-Stadioncenter ein neues Verwaltungsgebäude, das gut hierher passt. Nicht so protzig, mit viel Charme und funktionell. Auch die Menschen sind noch immer die gleichen. Als ich jetzt das erste Mal beim Training war, standen dort drei Rentner. „Ey, hömma“, sagte einer. Ich hab‘s überhört. „Herr Kuntz!“ – „Watt denn?“ – „Wimpel!“ – „Watt Wimpel?“ – „Bring mal‘n Wimpel mit!“ – „Red in ganzen Sätzen mit mir!“, hab ich ihm dann herüber geschrien – „Bringst Du bitte mal einen Wimpel mit?“ – „Geht doch!“, hab ich ihm dann gesagt. – „Der Kuntz ist in Ordnung“, meinte er zu seinen Kollegen. Das ist Ruhrpott.

Gibt es noch eine Verbindung zu den alten Spielern?

Ata Lameck, Walter Oswald, Heinz Knüwe, Lothar Woelk oder Klaus Fischer, obwohl der sich Richtung Schalke orientiert.

Klaus Fischer, Ihr damaliger Sturmpartner, hält von der jungen Stürmergeneration nicht viel. Er sagt, dass Gerd Müller heute 70 Tore erzielen würde und er immer noch 40.

Naja, das Tempo und die Athletik sind gar nicht vergleichbar. Man sollt jede Zeit respektieren, wie sie war.

Die Angestellten des VfL Bochum sehen aus ihren Büros das Dach der Arena AufSchalke. Ist das eine Motivation?

Für mich nicht. Von Außen betrachtet, wäre mir das Risiko zu groß, so wie das Konstrukt Arena aufgebaut ist. Wir machen lieber mit dem VfL ganz viele kleine Schritte auf der wirtschaftlich seriösen Basis, die hier seit vielen Jahren gepflegt wird. Das ist die viel größere Herausforderung. Wenn wir dann auch nur annähernd dorthin kommen, wo andere Vereine sind, wäre das eine riesige Sensation.

Ist Bochum Ihr Schicksal?

Bochum ist für mich ein glücklicher, logischer, nächster Schritt.