Der lange Weg zur Anerkennung

HOMOSEXUALITÄT UND KIRCHE Die katholische Basis ist viel weiter als die Kirchenoberen, finden schwul-lesbische Kirchenaktivisten. Doch an ihrer Anwesenheit auf dem Kirchentag gibt es auch Kritik

BERLIN taz | Schwul-lesbische Kirchengruppen sehen in der Debatte rund um die Missbrauchsfälle eine Chance für die Kirche – und eine Chance für ihre eigene Anerkennung. „Es musste zu dem Punkt kommen, dass es einen Knall gibt“, sagt Thomas Wunsch von der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Homosexualität und Kirche (HuK). Die aktuelle Diskussion müsse dazu genutzt werden, die Sexualmoral der Kirche insgesamt zu überdenken.

Zwar gibt es schon seit vielen Jahren zahlreiche homosexuelle Gruppierungen innerhalb der christlichen Kirchen. Doch um ihre Akzeptanz müssen Schwule und Lesben noch immer kämpfen – in der katholischen Kirche eher um die Anerkennung durch die Spitze, in der evangelischen eher noch um die Anerkennung an der Basis, so empfindet es zumindest HuK-Sprecher Thomas Wunsch.

Auf dem Kirchentag in München werden Schwule und Lesben präsent sein. „Wir wollen sichtbar machen, dass es uns gibt und dass es legitim ist, dass es uns gibt“, sagt eine Sprecherin des Netzwerks katholischer Lesben. Weil ihr Arbeitgeber die Kirche selbst ist, möchte sie namentlich nicht erwähnt werden.

Auf Fortschritte durch die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle hofft auch die Katholische Junge Gemeinde (KJG). „Ich glaube, dass nun ein Stück mehr Offenheit einkehrt“, sagt Nils Rusche von der Unterorganisation KJGay. Ohnehin sei diese Offenheit an der katholischen Basis schon längst zu spüren. „Rom ist für mich sehr weit weg“, so Rusche. „Die Basis ist da viel weiter, als die Bischöfe es gerne hätten.“

Gequatsche aus Rom

Zwar besteht die Hoffnung auf weitere Fortschritte. Doch dass die rückwärtsgewandten Ansichten der Bischöfe noch längst nicht aus der Welt sind, wurde im Zuge der Missbrauchsfälle einmal mehr deutlich. Zuerst erklärte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in der Talkshow „Anne Will“, dass Homosexualität eine Sünde sei.

Kurz darauf sah Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, nach dem Papst der zweitmächtigste Mann im Vatikan, einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie. „Viele Psychologen und Psychiater haben nachgewiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Zölibat und der Pädophilie gibt, aber viele andere haben gezeigt und mir kürzlich versichert, dass ein Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie besteht. Das ist die Wahrheit, und das ist das Problem“, wurde er von der Online-Ausgabe des chilenischen Radiosenders Cooperativa wiedergegeben.

„Da wird versucht, ein Ablenkungsmanöver zu steuern, um von der eigenen Schuld abzulenken“, sagt HuK-Sprecher Wunsch. Das Spektrum, wie Schwule und Lesben damit umgehen, sei breit: Manche würden die Kirchenarbeit vor Ort einfach anders erleben und seien deshalb gelassen. Zumal sie das „Gequatsche aus Rom“ kennen würden. Andere, die sehr stark mit der Institution verwurzelt sind, quäle es hingegen deutlich mehr.

Kurz vor dem Kirchentag kam nun noch Kritik an der dortigen Präsenz schwul-lesbischer Organisationen auf. In einem offenen Brief des Forums Deutscher Katholiken und der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften wird die „Privilegierung“ von schwul-lesbischen Gruppen durch eine große Anzahl eigener Veranstaltungen beanstandet. „Diese Veranstaltungen beschäftigen sich mit Menschen, die sich auf ihre sexuellen Probleme konzentrieren und oft in schriller Weise Gottes Wort und die Lehre der Kirche missachten“, heißt es in dem Schreiben.

Doch darauf reagieren die meisten Gruppen gelassen. „Bislang hatten solche Anliegen keinen Erfolg“, heißt es bei der Arbeitsgemeinschaft Lesben und Kirche. Auch an den Ständen auf dem Kirchentag gäbe es manchmal Leute, die mit unqualifizierten Anfeindungen kommen. Dies sei jedoch bislang noch stets mit Worten zu klären gewesen.

NADINE MICHEL