RASSIST ODER SERIENKILLER?
: Revolver, gezückt

Wir können wenigstens identifiziert werden, wenn wir tot sind

Nachts an der Prinzenstraße. Es ist fünf Uhr morgens, wir wollen gerade nach Hause. Leider ist Taxiebbe, also laufen wir schon mal in die richtige Richtung. Aus der kommt allerdings ein Halbstarker, gefolgt von seiner Gang. Wir sind zu viert. Sie sind gefühlt viel mehr. „Where are you from“, fragt unser Gegenüber. Inspiriert antwortet C.: „From Jamaika, from Jamaika.“ Gleichzeitig erklärt M., wir seien Spanier. „Go back where you come from“, faucht der Typ. Ein Auswuchs der nationalsozialistischen Hydra? Vorher hatten wir keine Aggression bemerkt. Auf einmal aber zückt er einen Revolver und bedroht ausgerechnet den einzigen Blonden von uns. Also doch kein Rassist? Sondern nur ein Serienkiller, der sich auf vermeintliche Touristen spezialisiert hat?

Uns wird die Situation unangenehm, also lenken wir ein und erklären ihm auf Deutsch, wir seien Deutsche. Er droht weiter. Weiß nicht so recht, was er will. Wir sollen immer noch dahin gehen, wo wir herkommen. Wir beteuern, dass wir das auch gern möchten. Er ist betrunken, wir sind seit der Knarre ziemlich nüchtern.

Die Gang steht abseits und beobachtet. Auch wenn die Pistole nicht echt ist, auf eine Prügelei können wir genauso gut verzichten wie auf den Schusswechsel. Wir haben sämtliche Wut grade vertanzt, und M. und P. sind sowieso Kriegsdienstverweigerer. Statt Waffen tragen wir nur unsere Ausweise bei uns. Dann können wir wenigstens identifiziert werden, wenn wir tot sind, überlege ich. Während unser Angreifer überlegt, was er mit uns machen soll.

Seit einer Weile zeigt die Mündung der Pistole auf die Beine von M. Besser als die Brust, ich brauche M. Ich bin trotzdem nervös, ich brauche M. auch mit Beinen. Da regt sich auf einmal einer von den Jungs aus dem Hintergrund und ruft: „Mann, kannst du es mal lassen, du Opfer!“ Wir sind frei.

CATARINA VON WEDEMEYER