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„Keine Stadtverschönerung“

STREETART Urbanes Stricken ist hip – nur nicht an der Volkshochschule. Ein Kurs hat die Gemüter erregt

Kirsten Tiedemann

■ 48, Autorin und Historikerin, besonders für Stadtentwicklung von unten und Dozentin an der Bremer Volkshochschule.

taz: Frau Tiedemann, „Guerilla-Stricken“ ist total hip. Ihr Kurs kommt an der Volkshochschule aber nicht an?

Kirsten Tiedemann: Er fällt aus, weil sich nur fünf Frauen angemeldet haben.

Woran mag das liegen?

Ich vermute, Guerilla-Stricken ist eher eine freiere Form, die sich keinen institutionellen Rahmen wünscht. Vielleicht ist die Klientel der Volkshochschule älter als die gedachte Zielgruppe. Dabei sorgte der Kurs im Vorfeld bereits für Kontroversen.

Streit um einen Strickkurs?!

Ja, unglaublich. Nach einem Zeitungsbericht beschwerten sich Leute, wir sollten doch lieber Mützen für Kinder stricken. Guerilla-Stricken bezeichneten sie als „Umweltverschmutzung“ und „Materialverschwendung“.

Wieso Umweltverschmutzung?

Es wird massiv kritisiert, dass Bäume bestrickt werden, was ich gar nicht tue. Andererseits bedanken sich sogar Leute, die mich dabei sehen, wie ich meine Woll-Graffiti anbringe.

Wir reden schon über diese nervigen Wollknäuel an Ampeln und Schildern, oder?

Genau – die bunten, kuscheligen Strick- und Häkelstücke. Tatsächlich soll es übrigens keine Stadtverschönerung sein, sondern es geht um Interventionen, die den öffentlichen Raum kontrastieren, um Irritation.

Strickt man eigentlich „am Objekt“ oder kann man am Kamin vorarbeiten?

In der Regel wird vorgearbeitet, weil das Stricken viel Zeit in Anspruch nimmt. Vor Ort wird es angenäht und ist reversibel, also im Sinne von Hausbesitzern. Es sind maßgeschneiderte Sachen, manchmal sehr ausgefeilt.

Begeistert das auch Männer?

Stricken ist eine traditionell weiblich zugeschriebene Handwerkstechnik, die immer noch überwiegend von Frauen ausgeübt wird. Wollig eingehüllte Stadtmöbel kontrastieren kalten Beton und Stahl. Strick-Graffiti spielt mit starken Assoziationen – auch mit der „strickenden großmütterlichen Häuslichkeit“. Es ist eine politische Aktion als informelle Intervention in den öffentlichen Raum.

Wie kritisch kann man denn stricken?

Gruppen haben es bei Demos benutzt oder um ein Bismarckdenkmal einzuhüllen – eine anti-nationalistische Aktion. Es regt die Fantasie an, man nimmt den öffentlichen Raum anders wahr, es irritiert den alltäglichen Blick, macht aufmerksam.INTERVIEW: JPB

„Guerilla-Stricken“-Kurs (entfällt)

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