Liebe mit schwerem Gerät

Die Liebesfabel in der Stadt der Intrige – im Bonner „Orpheus“ kommt Euridice gleich zweimal zurück ins Leben. Einmal hilft der Magnetismus, einmal die Liebe. Eine pointenreiche, pralle Aufführung

AUS BONN REGINE MÜLLER

Der mythische Sänger hat‘s ihm angetan: Schon zum zweiten Mal in dieser Saison hat Dietrich Hilsdorf sich des „Orpheus“ angenommen. Am Essener Aalto-Theater verfrachtete er Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ in eine schmissige Theater-auf-dem-Theater-Situation, nun taucht er in Bonn Glucks Oper in die Nebelschwaden eines Krimis.

Schon der vom Regisseur ersonnene Untertitel „Le contrat d‘amour ou les jeux sont faits“ verrät, dass der antike Mythos anders gelesen wird. An der Lauterkeit des Sängers mit der Leier, der zum Urbild des Musikers, Dichters, ja, des Künstlers an sich wurde, hatte bereits Klaus Theweleit im „Buch der Könige“ seine Zweifel, als er das „und“ zwischen Orpheus und Eurydike entschieden durchstrich und den Beweis führte, dass Eurydikes Tod kein Unglück, sondern geplantes Opfer ist. Hilsdorf spitzt die Geschichte auf der Bühne weiter zu, rückt an mit schwerem Dekonstruktions-Gerät. Er wählt Glucks französische Fassung der ursprünglich italienischen Oper in der Bearbeitung von Hector Berlioz und siedelt die Handlung in Paris am Vorabend der Revolution an. Mit dem herrschenden Zeitgeist von 1785 entzieht er der rührenden Liebes-Fabel und der Kraft des Gesangs zynisch die Grundlage und wirbelt die Handlung munter durcheinander.

Das vorrevolutionäre Paris trieb galante Ränkespiele. Es war die Zeit der Intrigen, Giftmorde, des Aberglaubens und des Mesmerismus. In den düsteren Gemäuern der Kirche Saint Sulpice, bewacht von Caravaggios Bild vom „Ungläubigen Thomas“ inszeniert Hilsdorf sein blasphemisch-atemloses Spiel mit doppelten Böden (Bühne: Haitker M. Böken). Schon während der jagenden Ouvertüre raschelt es sündig im Beichtstuhl: Orphée stellt seiner Euridice so heftig nach, dass gar manches Wäschestück aus dem Gestühl fliegt. Doch die erotische Verfolgungsjagd endet böse: An der Schwelle zur Sakristei sinkt Euridice entseelt zu Boden. Ein Schlangenbiss? Mord?

Das aufmarschierende Chorvolk teilt sich auf in bigotten Klerus und gaffenden Adel. Dr. Mesmer tritt auf und arbeitet an der Wiederbelebung der Verblichenen. L‘amour ist keine geflügelte Gottheit der Liebenden, sondern eine flammend rote Liebeshändlerin mit zweifelhaften Absichten. Sie turtelt mal mit Orphée, mal mit der Gattin. Sie sucht die Fäden zu ziehen. Und Orphée scheint nicht recht zu wissen, ob er Euridice oder die Liebe selbst begehrt. Orphée steigt dann nicht in den Hades, um Euridice durch die betörende Gewalt seiner Stimme zu befreien, sondern Dr. Mesmer richtet das schöne Kind wieder auf. Die Chöre der Unterwelt sind die erregten Pariser Massen, die sensationshungrig das mysteriöse Geschehen am Leichnam verfolgen. Auch im Konflikt der wieder Vereinten um das von den Göttern verhängte Blickverbot hat die lüsterne Frau Liebe ihre Finger im Spiel: Euridice stirbt erneut, diesmal durch Orphées Blick. Dem Happyend der französischen Fassung misstraut Hilsdorf natürlich. Obwohl Euridice wiederum aufsteht, findet sie mit Orphée nicht endgültig zusammen, sondern verschwindet mit der Liebe, während Orphée sich darob selbst blendet.

Dem pointenreichen, prallen Geschehen folgt Wolfgang Lischke im Graben mit nach vorn drängender Begleitung. Hell und schlank bewegen sich auch die Stimmen: Susanne Blatterts leicht geführter Mezzo, der viele Bravos erntete, Julia Kameniks jubelnde Euridice und Sigrún Pálmadóttirs gefährlich funkelnder L‘amour-Sopran. Begeisterung für alle Beteiligten.

12., 25., 28. Mai, Oper Bonn Infos: 0228-778008