„Bei mir geht es um realen Horror“

FESTIVAL Ziemlich unheimlich sind die Motive von Ono Ludwig. So sieht er die Welt, voller Geister und Dämonen, sagt der Fotograf

■ Am 2. November findet das 12. „NachtundNebel“ Kunst- und Kulturfestival Neukölln statt. Einer der ausstellenden Künstler ist der Fotograf Ono Ludwig. Er zeigt seine Fotoarbeiten unter dem Titel „Geister und Dämonen“ in der Galerie Pflüger 68. Ono Ludwig, geboren 1968 im Ruhrgebiet, lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin. 2010 hat er den Europäischen Förderpreis für Fotografie gewonnen und war Teilnehmer der letzten Fotobiennale MdF in Berlin.

■ „Geister und Dämonen“ bis 15. 11. jeweils Mittwoch bis Samstag in der Galerie Pflüger68, Pflügerstr. 68, 12047 Berlin

www.nachtundnebel.info

taz: Herr Ludwig, Geister und Dämonen – wie sehen die aus?

Ono Ludwig: Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, wie sie für mich aussehen. Für mich sind es keine Luftwesen, die irgendwie überpersönlich sind, sondern Menschen, die mir das Leben zur Hölle gemacht haben. Und die ich ganz klar vor Augen habe, wenn ich an sie denke, sei es meine Mutter, seien es die Nonnen im Heim oder andere Kinder, die mit mir dort waren.

Auf den Fotos in der Schau ist kaum ein Mensch zu sehen.

Aber sie sind da, die Fotos sind beseelt von ihnen. Das Astloch einer Birke zum Beispiel, das ich im Tiergarten fotografiert habe – für mich ist es ein bösartig beobachtendes Auge. Die Welt sieht für mich anders aus als für andere, bedrohlicher und unheimlicher.

Einige Ihrer Fotos wirken wie Standbilder aus einem Film von David Lynch.

Mit dem Vergleich kann ich wenig anfangen, Lynch ist mir zu verspielt und mystisch. Bei mir geht es um realen Horror. Wenn ich den Clown auf einer Kirmes fotografiert habe, dann deshalb, weil meine Mutter mich als Kind immer mit auf die Kirmes geschleppt und beim Clown abgesetzt hat, um in Ruhe nach Freiern zu suchen.

Kann und soll ein Betrachter diesen Hintergrund erahnen?

Viele werden die düstere Aura spüren. Und dass Clowns etwas Monströses haben können, gerade für Kinder, ist ja nicht völlig unbekannt, wenn man an den Kinder mordenden Clown Pennywise bei Stephen King denkt. Einige allerdings sehen auch nur den schönen Schein: Ein Ausstellungsbesucher hat mich angesprochen, er wollte wissen, wie ich die Fotos gemacht habe. Ich habe ihm gesagt, dass alle analog fotografiert sind auf Schwarz-Weiß-Film und dass sie zu einer Serie gehören, an der ich seit fünf Jahren arbeite. Aber als ich von mir erzählt habe und davon, was an Biografischem in diesen Bildern steckt, war er ganz schnell weg.

Überrascht Sie das?

Nein, ich verstehe es. Letztlich ist es den Leuten völlig wurscht, es gibt so viel an Elend, man will es einfach nicht hören. Aber ich will mich mitteilen, ich will erzählen von der Brutalität, die ich erlebt habe. Und gerade weil ich nicht darauf setze, dass man mir zuhört, teile ich mich mit über das Medium Kunst.

Sie sind sehr plakativ. Das größte Exponat dieser Ausstellung ist blutrot; die Fotografie eines Gemäldes von Ihnen.

Es ist ein Triptychon, und es ist blutrot, weil es zum Teil aus Blut besteht. Für die beiden Seitenteile habe ich mir Blut abnehmen lassen und damit Sätze aufgeschrieben, die ich als Kind zu hören bekam, jeden Satz zweimal, weil solche Sätze ein Echo haben. Rein technisch ist es so, dass Blut braun wird, wenn es trocknet, deshalb habe ich die Sätze fotografiert, solange das Blut noch rot war.

Dass ein Triptychon die Betrachter etwa an ein christliches Altarbild denken lässt, stört Sie nicht?

Nein, überhaupt nicht. Es geht mir nicht darum, mein Leiden sakral zu überhöhen. Ich will meine Geschichte erzählen und damit auch aufklären. Wenn ich Glück habe, trösten die Bilder den einen oder anderen, weil sie in mir einen Leidensgefährten erkennen und sehen, dass sie nicht allein sind.

Haben Sie Angst vor dem Vorwurf, sich öffentlich selbst zu therapieren?

Und wenn schon, was spräche dagegen? Die Kunst hat mich gerettet, aber dass sie das hat, spricht nicht gegen sie. Kindesmisshandlung ist ein Thema, das bei vielen Künstlern und Künstlerinnen auftaucht, und bei nicht wenigen hat es auch ihre Arbeit inspiriert. Denken Sie nur an die Nanas von Niki de Saint Phalle.

INTERVIEW: DOROTHEE ROBRECHT