meine werte (5)
: Lass dich bloß nicht erwischen

Bei dem Wort Werte fallen mir ehrlich gesagt als Erstes Blutfettwerte ein. Als Zweites assoziiere ich Doppelmoral. Die so genannten ehernen Werte gibt es auch nicht schon immer, wie uns Konservative jeglicher Couleur weismachen wollen, sondern sie sind Teil von Weltanschauungen, die sich mal mehr und mal weniger auf das Leben des Einzelnen auswirken. Im Moment zum Glück hierzulande eher weniger. Es ist immer amüsant, wenn man angesichts der Einbürgerungsdebatte deutsche Konservative davon reden hört, dass Maßstab für eine Einbürgerung die Akzeptanz der Gleichberechtigung von Frau und Mann sei. Als hätten Männer wie sie eins ihrer ihnen angeblich vor Gott übertragenen Rechte freiwillig geteilt.

Auf dem Markt drückt sich Werte in Preisen aus. Die zehn Gebote gibt’s im Sonderangebot, eins zu 99 Cent. Ich bin immer hin- und hergerissen, ob ich Kindern angesichts der ungerecht verteilten Warenwelt das 7. Gebot („Du sollst nicht stehlen“) oder das 11. („Du sollst dich nicht erwischen lassen“) beibringen soll. Denn wenn sie erst einmal herausbekommen haben, dass wider Erwarten in der Gesellschaft nicht Wissen, Können und Anständigkeit sie weiterbringt, sondern bis auf wenige Ausnahmen Herkunft, Beziehungen und Cleverness, ist es meistens schon zu spät. Josef Ackermanns Victoryzeichen im Gerichtssaal haben schon aufgeweckte Zehnjährige begriffen. Gleichzeitig dürfen nicht wenige von ihnen miterleben, dass die unverheirateten Eltern sich trennen, damit die Mutter, die seit Jahren keine Arbeit findet, nicht in eine komplette Abhängigkeit zum Partner gerät. Während dieselben Leute, die per Dekret dafür gesorgt haben, dass die Eltern sich trennen mussten, um Schnüffeleien und Sanktionen zu entgehen, vom Glück der bürgerlichen Familie reden.

Die patriarchalen Familienverbände sind, neben den nicht unwesentlichen ökonomischen Gründen, daran zerbrochen, dass sich Frauen von Männern nicht mehr vorschreiben lassen wollten, wie sie zu leben haben. Wenn heute Frauen wie Eva Herman beklagen, dass Karrierefrauen Schuld haben am demografischen Desaster, kann man nur sagen: Der Frau kann sofort geholfen werden. Sie muss einfach nur in die Küche zurückkehren und nie wieder den Mund aufmachen. Und auch bitte, bitte nie wieder eine Zeile schreiben. Auch keine Kochbücher! Schließlich zwingt sie ja niemand, doofe Talkshows zu moderieren.

Es ist keineswegs so, dass ich Werten wie Freiheit und Gleichheit gegenüber nicht aufgeschlossen wäre. Ich weiß beide zu schätzen. (Die Brüderlichkeit hat für mich eher etwas Bedrohliches.) Aber in meinem bisherigen Leben habe ich immer nur einen von beiden bekommen. Der eigentliche Wert wäre eine Verbindung beider. Aber da wären wir bei der Utopie.

ANNETT GRÖSCHNER