Raus aus den Heimen

Die Landschaftsverbände wollen Heimplätze in NRW abbauen. Menschen mit Behinderungen sollen zur ambulanten Pflege wechseln. Das spare Kosten und bringe den Klienten Selbstständigkeit

AUS DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Aus Kostengründen sollen behinderte Menschen in Nordrhein-Westfalen selbstständiger werden. Für sie wollen die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe (LVR und LWL) gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden im Land bis 2009 rund 3.500 weitere Plätze für betreutes Wohnen einrichten. Gleichzeitig sollen 2.000 stationäre Plätze abgebaut und Geld für geplante Heimplätze direkt auf ambulante Projekte umgelenkt werden.

„Wir hoffen, dass unser Vorhaben bundesweit Pilotfunktion haben wird“, sagte Udo Molsberger, Direktor des LVR, gestern auf einer Pressekonferenz im Düsseldorfer Landtag. Bei dem Paradigmenwechsel in der Unterbringung von Behinderten handele es sich um eine „win-win-Situation“. Denn die Landschaftsverbände, die für die Unterbringung von behinderten Menschen zuständig sind und sich über die Kreise und Kommunen finanzieren, seien wegen der steigenden Zahl an Klienten zu Einsparungen gezwungen – ein Platz im Heim kostet pro Tag etwa 100 Euro, Betreutes Wohnen zwischen 50 und 80 Euro.

Andererseits, so der LVR-Direktor, sei das betreute Wohnen auch im Interesse der behinderten Menschen und diene als Eingliederungshilfe. Das treffe vor allem auf Menschen mit „Down Jones“-Syndrom zu, versprach sich Molsberger. Die Eltern müssten über diese Alternative aber noch besser aufgeklärt werden, fügte Wolfgang Schäfer, Direktor des LWL, hinzu. „Sie sind oft ängstlich bei der Vorstellung, dass ihre Kinder alleine leben.“

Die Umwandlung von Heimplätzen hin zu einer ambulanten Betreuung bedeute aber nicht, dass Eltern dazu gezwungen würden, ihre Kinder kostengünstiger unterzubringen, stellte Udo Becker, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege in NRW, klar: „Wir haben den Bedarf nach betreutem Wohnen abgefragt.“ Bisher leben in NRW 40.000 Menschen mit Behinderungen in Heimen, etwa 18.000 wohnen in ihren eigenen vier Wänden.

Die Eintracht, in der die Vertreter von Landschafts- und Wohlfahrtsverbänden gestern ihre Pläne zur Unterbringung behinderter Menschen präsentiert haben, ist hart erarbeitet. Noch im Dezember 2005 hatte der LWL den Wohlfahrtsverbänden „Preistreiberei“ vorgeworfen – und den Wohlfahrtsverbänden gedroht, die Behindertenhilfe öffentlich auszuschreiben, wenn sie keine Kosten einsparen würden. Immerhin vier Monate, von Januar bis April 2006, hat es gedauert, bis sich die Verhandlungspartner geeinigt haben. Die Einrichtungen, die sich an der „Ambulantisierung“ der stationären Heimplätze beteiligen, sollen Sonderzahlungen erhalten.