Drei Stecken und eine Decke darüber

Wo ist Heimat? Was ist Liebe? Und wie lebt es sich als Indianer? In der Bar jeder Vernunft gehen die Geschwister Pfister und Malediva existenziellen Fragen nach – absurde Abschweifungen bis hin zum Kettensägenmassaker inklusive

Wenn man sich mit Mitte 30 der Halbzeit des Lebens bewusst wird, drängen sich grundlegende Fragen noch einmal mit ganz neuer Vehemenz auf. Die einen denken über Werte nach oder machen Zwischenbilanz bei den Aktienportfolios. Andere sinnieren und suchen nach Heimat, einem wahren Zuhause und immer noch und immer wieder nach der Liebe. Warum sie kommt, warum sie manchmal bleibt – und warum man sich immer wieder paarweise zusammentut und letztlich doch nur miteinander streitet.

Die Bar jeder Vernunft ist derzeit Zentrum solch küchen- und alltagsphilosophischer Diskurse. Im einen Programm besingen Malediva, von perlenden Klavierläufen begleitet, private Zickenkriege und die neue Sehnsucht nach bürgerlichem Schrebergartenidyll; im anderen fahren die Geschwister Pfister ihre Jo Rolof Band auf und durchpflügen musikalisch das Easy-Listening-Land von Musical bis Ländler.

2002 hatten sich die Geschwister Pfister bis zur Big Band hochgearbeitet, um dann mit der Gala „Have a Ball!“ vermeintlich Abschied zu nehmen. Nach diversen Nebenbeschäftigungen wird die Familiengeschichte des sympathischen Trios nun in „Home, Sweet Home“ weitergesponnen. Das exilbulgarische Fräulein Schneider (Andreja Schneider) irrt mit einem Lampenschirm und ständig an der Sektflasche nuckelnd über die Bühne. Ursli (Christoph Marti) deliriert halbnackt in einem Rollstuhl sitzend hin und her. Nur Toni (Tobias Bonn) scheint noch bei Sinnen und ist angestrengt bemüht, die Fassung und Ordnung zu wahren. Als hätten wir's nicht immer schon geahnt: Hinter der Fassade der glücklichen Geschwister Pfister verbirgt sich das Schicksal einer an den Folgen des Showbiz zerrüttenden Künstlerfamilie.

Eine BBC-Reporterin hat sich zu einer Homestory angekündigt, wird aber bis zum Ende nicht auftauchen. Die Wartezeit vertreiben sich die Pfisters mit Diskussionen über ihre Heimatlosigkeit als Künstler und die innere Abkehr von ihren Schweizer Wurzeln, als man im Kindesalter noch beim Kaufladenspielen getrocknete Kuhfladen anbot. Und Fräulein Schneider wagt den Kulturvergleich: „Indianer rammen drei Stecken in die Erde, werfen eine Decke darüber“ – schon ist's gemütlich. Dazwischen private Enthüllungen und absurde Abschweifungen bis hin zu einem Kettensägenmassaker.

Unter der Regie von Doraine Green ist eine Show wie unter Valium entstanden: Purer Camp, mit Anleihen von „Wizard of Oz“ über „Absolutely Fabulous“ bis „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ gespickt. Dazwischen rund 20 Songs, von Hawaii-Kitsch bis Queen – mal als swingender Harmoniegesang, mal als Rocknummer –; allesamt aber ungemein einfallsreich choreografiert.

Dagegen erscheinen Malediva nahezu stoisch. Pianist Florian Ludewig sitzt scheu und zurückhaltend am Flügel, neben ihm das Duo Lo Malinke und Tetta Müller auf einer Bank vor Mikrofonen. Sitzen, singen und plaudern. Eigentlich nicht viel. Und doch unglaublich groß. Vor wenigen Wochen haben Malediva den Deutschen Kleinkunstpreis überreicht bekommen; mit dem neuen Programm „Ab heute verliebt“ beweisen sie, dass sie die Auszeichnung redlich verdient haben.

Mit ihren weiß geschminkten Gesichtern erscheinen Malinke und Müller wie poetische Kunstfiguren; androgyn und als Projektionsfläche für jedwede Paarkonstellation offen. Das eigentlich nach allen Seiten hin auf Pointen und Bonmots längst abgegraste Feld der Liebe erscheint bei ihnen noch einmal in völlig neuem Licht, als Szenen einer Ehe, die von der zickig-spöttischen Boshaftigkeit lebt. Doch weil die unterschwelligen Gemeinheiten so liebevoll und mit sanftmütigem Parlando, Selbstironie und einem Lächeln im Gesicht ausgetauscht werden, schimmert hinter all dem Zwist doch stets eine tiefe Liebe durch.

Zugleich legen Malediva unter Wolfgang Kolneders Regie ein atemberaubendes Tempo vor: Sarkastischer, trockener Witz geht da in den Chansons fließend in eine unsentimentale Melancholie über. Und der Abgesang auf eine Beziehung kann dann schon mal in den Versen enden: „Ich hab dich im Leben nur einmal belogen, daraufhin bist du bei mir gleich eingezogen.“ AXEL SCHOCK

Geschwister Pfister „Home, Sweet Home!“, bis 6. 7., Mi., Do., 20.30 Uhr, Fr.–So., 20 Uhr.Malediva „Ab heute verliebt!“, bis 8. 7., Mo.–Di., 20 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24