piwik no script img

meine werte (6)Unerwartetes Flimmern

Die Frau, die Arbeit, der Hund, die Stadt – gleich wollen Sie wissen, ob das einer Rangfolge entspricht? Jederzeit sei die Arbeit dem Hund vorzuziehen und dieser der Stadt?

Aber so läuft es nicht, das wissen Sie genau. Oft genug klagt die Frau, die Arbeit gehe dem Manne über alles (oder umgekehrt). Und an einem schönen Sommerabend vom Lande in die Stadt zurückzufahren, lässt sie alles überstrahlen, das neue Jerusalem.

Werte flimmern. Am besten, man stellt sie sich als Aufmerksamkeitsbesetzungen vor, die von Fall zu Fall das Thema wechseln können, jetzt der Hund, dann insbesondere die Frau usf. Mag sein, dass das Spektrum der Themen, das eine Person charakterisiert, begrenzt ist. Kein Krokodil hat die Chance, bei mir die Stelle des Hundes einzunehmen … Obwohl … Wenn eine der Zoo-Shows im Nachmittagsfernsehen es richtig anstellt, kann „die Artischocke unter den Tieren“ (Saul Steinberg) mein Herz kurzfristig absolut gewinnen.

Das ist eben das Problem, mögen Sie einwenden. Dass die Werte nur (noch) kurzfristig flimmern, statt lebenslang Orientierung zu bieten. Was wir brauchen, ist ebendies, ewige, nun ja, dauerhafte Werte, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden u. dgl. Wer sie anerkennt, schlägt keine Schwarzafrikaner zusammen, befürwortet eine saftige Besteuerung der Reichen und bekämpft die Abhängigkeit von den USA.

Das Problem ist bloß, muss ich erwidern, dass diese Werte ausschließlich beim Zeitunglesen zum Tragen kommen. Ob Sie sich nie und nimmer, unter gar keinen Umständen mit einem Afrikaner prügeln werden, bleibt unbekannt (er habe angefangen, sagen Sie dann vermutlich). Auch wenn Sie bei allen anstehenden Gelegenheiten in den nächsten Jahren Ihre geliebte Linkspartei wählen, beeinflusst das die Steuergesetzgebung in der BRD so gut wie gar nicht. Und oft weiß man kaum, ob wirklich der hehre Wert bei Ihren Reaktionen am Wirken ist oder was ganz anderes: Wenn Sie sich freuen, dass George W. und Tony Blair jetzt in puncto Popularität so schlecht dastehen, hängt das doch vielleicht weniger mit Ihrem elementaren Gerechtigkeitsgefühl zusammen, das der Irakkrieg so tief gekränkt hat, als mit Rachsucht und Schadenfreude (wertmäßig gesehen gar keinen Ranges)?

MICHAEL RUTSCHKY

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen