Demonstrationen ohne „Zivis“

VERSAMMLUNGSRECHT Göttinger Atomkraftgegner klagen gegen verdeckte Observierung bei Protesten

Sie outeten sich nicht als Polizisten, sondern taten so, als seien sie Passanten

Wenn sich in Göttingen Menschen zu einer Demonstration versammeln, mischen sich meist in Zivil gekleidete Beamte des politischen Kommissariats der Polizei unter die Teilnehmer. Der örtlichen Anti-Atom-Initiative reichte es – sie klagte gegen die verdeckte Observation. Heute verhandelt das Göttinger Verwaltungsgericht über die Angelegenheit.

Konkret geht es um drei Fälle. Bei den Fukushima-Mahnwachen der Initiative auf dem Göttinger Marktplatz im September, Oktober und November 2011 waren Zivilbeamte zugegen. Sie outeten sich nicht als Polizisten, sondern taten so, als seien sie Passanten. Die Initiative und ihr Anwalt Johannes Hentschel halten das für rechtswidrig. Die Polizeidirektion bestätigte die Maßnahmen, sieht sie aber vom Gesetz gedeckt.

In der Klage argumentiert Hentschel zweigleisig. Die Anwesenheit von Zivilpolizisten, ohne sich der Versammlungsleiterin zu erkennen zu geben, verstoße zum einen gegen das Niedersächsische Versammlungsgesetz. Darin sei klar festgelegt, dass sich bei Demonstrationen anwesende Polizisten gegenüber der Versammlungsleitung zu erkennen geben müssten. Dies gelte ausdrücklich auch für in Zivilkleidung auftretende Kräfte.

Andererseits, so der Anwalt, verstoße die Anwesenheit verdeckter Ermittler gegen Artikel 8 des Grundgesetzes. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit werde beeinträchtigt, weil die heimliche Observation von der Teilnahme an Kundgebungen abschrecke und es den Teilnehmern schwer mache, unbeschwert ihre Meinungsfreiheit auszuüben. Das gelte insbesondere, wenn – wie bei den Mahnwachen – „regelmäßig und offenbar systematisch verdeckte Zivilbeamte zur Überwachung und Beobachtung von Versammlungen anwesend sind“.

Nach Angaben der Göttinger Initiative „Bürger beobachten Polizei und Justiz“ sind nicht nur die Atomkraftgegner von der Observierung durch Zivilbeamte betroffen. So seien in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Versammlungen durch verdeckte Ermittler überwacht worden. Neben praktisch allen Demos und Kundgebungen des linken Spektrums treffe dies auch auf eine Demo anlässlich eines bundesweiten Bildungsstreik-Aktionstags sowie für eine Arbeitskampfaktion von Ver.difür bessere Arbeitsbedingungen bei Netto zu.  REIMAR PAUL