UNTERM STRICH

Im Hinterhof der Koppenstraße 65, nahe dem Schlesischen Bahnhof, im tiefsten Osten, von dem Kurt Tucholsky einst sagte, dass dort Berlin schuften geht, wuchs Rainer Küchenmeister auf. Am 6. Mai ist der ehemalige Professor für Malerei an der Kunstakademie Karlsruhe in Paris im Alter von 83 Jahren verstorben. In den letzten fünfzehn Jahren war er als einer der letzten Zeitzeugen der „Roten Kapelle“ in Büchern und Dokumentarfilmen entdeckt worden. Fotos zeigen den Heranwachsenden bei Ausflügen mit seinem Vater Walter und der Ärztin Elfriede Paul, mit Libertas und Harro Schulze-Boysen, Kurt und Elisabeth Schumacher, Günther Weisenborn und Marta Husemann. Im Herbst 1942 gehörte er mit 16 Jahren zu den jüngsten Gefangenen im Berliner Polizeigefängnis. Der sensible, fantasievolle und zeichnerisch begabte Junge überlebte die zweieinhalbjährige Haft am Alexanderplatz und im Jugendkonzentrationslager Moringen, auch die Einberufung im Februar 1945 zu einem Strafbataillon der Wehrmacht und die kurze sowjetische Kriegsgefangenschaft. Nach seinen Studium in Bielefeld und an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee gelang dem 33-Jährigen 1961 der Durchbruch in der westdeutschen und der französischen Kunstszene. 1964 wurden seine Arbeiten auf der documenta III in Kassel in der Abteilung Malerei gezeigt. 1969 erfolgte seine Berufung zum Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, und er wurde Ordentliches Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Seine Studenten lobten, dass er sie, ohne Vorgaben und direkte Einflussnahme, malen und gestalten ließ. Immerhin verteidigte er als einziger Professor Anselm Kiefers Abschlussarbeit. Als im Jahre 1994 in einer Ausstellung über die Rote Kapelle in Karlsruhe Rainer Küchenmeister als Mitstreiter genannt wurde, war die Überraschung groß. Ohne das Wissen um diesen Hintergrund findet sich schwerlich ein Zugang zu seinen Arbeiten. In seiner Malerei und seinen Zeichnungen, bald auch mit seinen Aquarellen und schließlich auch mit seinen Plastiken wandte er sich dem Dialog mit der Figur zu. HANS COPPI