: Aus der nackten Masse
Spencer Tunick arbeitet zum ersten Mal in Deutschland. Für September plant der US-amerikanische Künstler eine Installation in Düsseldorf, für die er noch Freiwillige sucht. Alle müssen sich ausziehen
AUS DÜSSELDORFKATJA BEHRENS
Seit den 1960er Jahren sind recht erstaunliche Dinge als Skulptur bezeichnet worden. Der in New York City lebende Künstler Spencer Tunick (geb. 1964) fotografiert seit 1992 nackte Menschen in der Öffentlichkeit. So hat er an vielen verschiedenen Orten der Welt Dutzende ephemerer Installationen realisiert, in denen er unbekleidete Menschen zu „Körperskulpturen“ ordnet, sie dicht gedrängt oder an einander geklammert meist in urbaner Landschaft drapiert. Unzählige Personen haben sich schon für Spencer Tunick ausgezogen und dem Wetter getrotzt. Sie kamen schon in London und Sao Paulo, in Brügge und Barcelona, in Helsinki und – natürlich mehrfach – in New York City zu hunderten, mitunter zu tausenden zusammen, haben ihre Kleider abgelegt und sich nach Anweisungen des Künstler-Regisseurs organisiert. Jetzt kommt Spencer Tunick nach Düsseldorf.
Auch in der Landeshauptstadt wird seine Choreographie und Dramaturgie Bild gebend. Er hat die Definitionsmacht und zeitweise Herrschaft über die Menschen, die als Individuen in der Masse verschwinden. In Deutschland hat der Künstler bislang noch nicht gearbeitet. Ob ihn die deutsche Geschichte, das visuelle Gedächtnis an Auschwitz und Dachau hat zögern lassen? Vielleicht sind die Assoziationen, die sich beim Anblick aufgehäufter nackter Körper aufdrängen können, international im Kunst-Kontext beliebiger geworden. Orgien sind dies sowieso. Die Erfahrungen der Jahre haben den Künstler überdies gelehrt, dass eine strenge Aufsicht darüber, welche Bild gebenden Medien zugelassen werden, notwendig ist. Filmt Tunick selbst mit festgestelltem Objektiv, muss er sich darauf verlassen, dass die zugelassenen Kameraleute nicht zu sehr zoomen und Nahbilder dann womöglich in anderen Kontexten verkaufen.
In den USA hat bei Tunick-Shootings mehrfach schon die Polizei eingegriffen, bis der Washingtoner Supreme Court dem Künstler bescheinigte, dass der nackte menschliche Körper durchaus Kunstobjekt sein könne. Die Richter erlaubten dem Künstler freilich nur eine einzige seiner Aktionen, keine Wiederholung. Das Konzept des spektakulären Projekts, das in Düsseldorf anlässlich der Quadriennale 06 stattfindet, wäre ohne die Beteiligung vieler Menschen vor Ort, die bereit sind, sich nicht nur auszuziehen, sondern auch, sich zu einem Massenornament formen zu lassen, nicht zu realisieren. Der Künstler ist der Regisseur und Dramaturg einer theatralen Inszenierung, die die Grenzen der Scham ebenso wie das willfährige Aufgeben der eigenen Subjektivität für eine „höhere Ordnung“ auslotet. Als wolle er feststellen, was die Leute im Namen eines Abstraktums wie der Kunst zu tun bereit sind.
Anmeldungen werden bereits jetzt über das Internet abgewickelt, jeder Interessierte kann und sollte sich unter www.spencertunickinduesseldorf.de für den 24. September anmelden. Die Ausstellung findet dann bis Anfang November im Düsseldorfer museum kunstpalast statt.
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