„Vor 15 Jahren war Nahrung mehr belastet“

LEBENSMITTEL Der Chemiker Thorsten Reemtsma über gesundheitliche Folgen von Dioxin in Hühnereiern und darüber, wie sich der vermehrte Umweltschutz auf die Qualität der Nahrungsmittel auswirkt

■ 48 Jahre, ist Leiter der Fachgruppe Rückstände. Der Chemiker arbeitet am Bundesinstitut für Risikobewertung in der Abteilung Sicherheit in der Nahrungskette.

taz: Herr Reemtsma, wer Bioeier isst, fürchtet neuerdings um seine Gesundheit. Bereits Mitte März wurde Dioxin im Hühnerfutter festgestellt. Diese Funde wurden aber erst Ende April bekannt gegeben.

Thorsten Reemtsma: Wir haben in den Eiern, die wir bewertet haben, im Schnitt eine doppelt so hohe Dioxinbelastung ermittelt, wie sie gesetzlich zulässig ist. Bei täglich einem Ei muss sich aber niemand Sorgen machen. Außerdem handelt es sich nach unseren Kenntnissen nur um einzelne Betriebe, bei denen dioxinhaltiges Futter gefunden wurde.

Wie wirkt sich denn Dioxin auf die Gesundheit der Menschen aus?

Aus Unfällen kennen wir die akut toxische Wirkung auf den Menschen. Die auffälligste ist die sogenannte Chlorakne. Es gibt auch Hinweise auf Schädigungen innerer Organe wie der Leber. Durch belastete Lebensmittel kommt es aber nicht zu akuten Schädigungen. Dafür sind die Belastungen zu niedrig.

Welche Langzeitfolgen kann es geben?

Chronische Effekte können schon bei niedrigeren Belastungen über lange Zeiträume auftreten. Bei Tieren wurden Störungen der Reproduktion, des Immunsystems und des Nervensystems beschrieben. Auf diesen Beobachtungen beruhen auch die Ableitungen der tolerierbaren Aufnahmemenge für den Menschen. Das giftigste der Dioxine ist als krebserregend eingestuft.

Gibt es überhaupt noch unbelastete Nahrungsmittel?Dioxine und polychlorierte Biphenyle gelangen im Regelfall als Umweltkontaminanten in unsere tierische Nahrung. Diese Belastung ist kaum vermeidbar. Durch verminderte Dioxinemissionen hat die Belastung in den vergangenen 15 Jahren allerdings drastisch abgenommen. Was wir heute als Belastung wahrnehmen, ist deutlich niedriger als der frühere Normalfall. Die Lebensmittelqualität hat sich durch verbesserten Umweltschutz positiv entwickelt.

Kann sich der Verbraucher zusätzlich selbst schützen?

Wer sich Sorgen macht, kann bestimmte, höher belastete tierische Nahrungsmittel nur selten essen. Dazu gehören vor allem fettreiche Lebensmittel von Tieren, die ein höheres Alter erreichen. Wenn diese Tiere noch in Freiheit aufwachsen, dann haben sie tendenziell mehr Dioxine angereichert, und die finden sich vor allem im Fett. Typische Beispiele können in diesem Zusammenhang wild gefangener Aal, Dorsch- und Schafleber sein.

INTERVIEW: JULIA HENKE