Entwicklungshelfer auf wohltätiger Mission

Früher haben wir viel mit unserer Ostverwandtschaft gemacht. Wir wohnten in München, die wohnten in einem kleinen Ort bei Dresden. Zu Weihnachten packte meine Mutter ein großes Paket mit Dallmayr Prodomo, Nylonstrümpfen und abgelegten Kleidungsstücken und schickte es „in die Zone“.

Nach dem Krieg war meine Mutter gemeinsam mit ihrer Mutter, die aus Thüringen stammte, heimlich über die innerdeutsche Grenze gerobbt, als sie ins schulfähige Alter kam. Vermutlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil es ihr im Westen so gut ergangen war, während die Verwandtschaft im Osten darbte.

Zur Jugendweihe meines Cousins zwängten wir uns in Mutters roten Fiat 500 und fuhren vom schönen Bayern aus „nach drüben“. Hinter der Grenze machten die Straßen so ein seltsames „Dudunk“-Geräusch, weil sie aus Betonplatten zu bestehen schienen, für deren Fugen die Federung des Fiats nicht geschaffen war. Und meine Mutter lachte herzhaft über die grimmig dreinblickenden Grenzbeamten, die versucht hatten, uns mit ihrem Sächsisch Angst einzujagen. Drüben gab es Broiler und Zunge zu essen, und ich versuchte meinem Cousin zu erklären, wo die Kinder wirklich herkommen. Er glaubte mir kein Wort.

Auch in Urlaub fuhren wir gemeinsam: Zum Balaton und heimlich mit dem Wohnmobil nach Südtirol. Wir wollten der Verwandtschaft schließlich was bieten. Die Öffnung der Mauer verfolgten wir gebannt auf der heimischen Wohnzimmercouch. Einmal waren die Ostverwandten nach der Wende noch in München zu Besuch. Wir hatten ihnen statt des ollen Trabis einen gebrauchten Opel besorgt. Danach haben wir sie jahrelang nicht mehr gesehen.

Marlene Halser, Jahrgang 1977