Der Zauber ist verflogen

GRÜNE Am Wochenende ist Landesparteitag in Baden-Württemberg. Die Halbzeitbilanz von Schwarz-Grün wird gemischt ausfallen. Kovorsitzender Chris Kühn scheidet aus

Kretschmanns Berlin-Ausflug hat auch im Ländle nicht jedem geschmeckt

AUS STUTTGART NADINE MICHEL

Am Wochenende soll es für Winfried Kretschmann entspannter werden. Entspannter jedenfalls als auf dem letzten Bundesparteitag in Berlin. Dort ist der baden-württembergische Ministerpräsident mit seinem Versuch, die Grünen auf einen neuen Kurs einzuschwören, vorerst gescheitert. Doch statt das noch einmal allzu ausführlich zu debattieren, wollen die Grünen auf dem Landesparteitag in Esslingen lieber ihre Halbzeitbilanz als Regierungspartei feiern.

Nach der vergeigten Bundestagswahl wollte Kretschmann sein Gewicht als Ministerpräsident nutzen, um den Kurs der Grünen in seinem Sinne zu „korrigieren“. Denn seiner Meinung nach ist die Partei aus der Spur geraten. Er las dem Parteilinken Jürgen Trittin die Leviten und forderte, sich als pragmatische Partei der Mitte aufzustellen. Doch ihm fehlte das Durchsetzungsvermögen.

Kerstin Andreae, Realofrau aus Freiburg und Kretschmanns Vertraute, scheiterte bei der Wahl zur neuen Fraktionschefin. Und auch Kretschmanns Landwirtschaftsminister Alexander Bonde, ebenfalls ein Realo, schaffte den Sprung in den Parteirat erst im dritten Wahldurchgang.

Nun muss sich der Frontmann der baden-württembergischen Grünen am Wochenende der Basis im Land stellen. Wie sieht es mit seinem Standing dort aus? Es werde „eher Jubelstürme als Kritik“ geben, sagte der scheidende Landesvorsitzende Chris Kühn. Kretschmann genieße „die volle Unterstützung“.

Zwar hat Kretschmanns Berlin-Ausflug auch im Ländle nicht jedem geschmeckt. Etwa, dass er noch länger mit der CDU sondieren wollte. „Ich denke auch, dass wir uns öffnen sollten. Aber nicht in diesem Tempo“, sagt ein Landtagsabgeordneter. „Und wenn wir unsere Alternativen ausloten, dann sollte das Tabu Schwarz-Grün ebenso gebrochen werden wie das Tabu Rot-Rot-Grün.“

Doch selbst Vertreter des linken Flügels wollen am Wochenende lieber den Blick auf die Landespolitik richten, in der Kretschmann nach wie vor ihr wichtigstes Zugpferd ist. Die Halbzeitbilanz der grün-roten Landesregierung soll ordentlich beklatscht werden – auch wenn hier und da nicht alles rund läuft.

Beispielsweise in der Bildungspolitik. Hier hätte man „das Pferd von einer anderen Seite aufzäumen können“, sagt Landesvorsitzende Thekla Walker. Im Nachhinein hätte sie sich eine regionale Schulplanung gewünscht, bevor die Gemeinschaftsschulen im rasenden Tempo ein- und im gleichen Atemzug die Grundschulempfehlung abgeschafft wurden. Auch die Frage, wie Vertretungslehrer während der Sommerferien bezahlt werden sollen, sorgt weiter für Diskussionsstoff, wie ein Antrag von der Basis zeigt.

Doch vor allem in der Bildungspolitik wird Grün-Rot weiterhin einen Spagat hinlegen müssen zwischen den eigenen Ansprüchen und Wahlversprechen auf der einen und den Zwängen der Haushaltskonsolidierung auf der anderen Seite. „Als Regierungspartei liegt der Zauber des Anfangs hinter uns, die hohen Erwartungen sind geblieben und konnten nicht immer erfüllt werden“, schreibt Walker selbstkritisch an die Delegierten in ihrem Bewerbungsbrief für den Landesvorsitz.

Als Nachfolger für ihren Kovorsitzenden Chris Kühn, der ein Mandat bei der Bundestagswahl gewann, stellt sich Oliver Hildenbrand zur Wahl. Der 25-jährige Psychologiestudent war Sprecher der Grünen Jugend. Er vertritt den linken Flügel und ist bisher der einzige Kandidat. Auch in seinen Augen ist die Zeit der Abrechnung vorbei. „Jetzt richten wir den Blick auf 2016.“ Dann will Kretschmann als Ministerpräsident wiedergewählt werden.