Agenten in den Redaktionsstuben

Der Bundesnachrichtendienst belauschte Journalisten in bisher nicht geahntem Ausmaß. Und er versuchte, andere Journalisten als Informanten über ihre Kollegen zu gewinnen

VON WOLFGANG GAST

Selten ist der Festtag einer Bundesbehörde so gründlich misslungen wie am vergangenen Donnerstag. Nicht nur dass die Feier zum 50-jährigen Bestehen des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Deutschen Historischen Museum mit dem Ehrengast Angela Merkel sowieso schon unter einem schlechten Stern stand, tagte doch am gleichen Tag der neu eingesetzte Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur BND-Affäre: Es ging dabei um die jüngst bekannte gewordene Entführung deutscher Staatsbürger durch den US-Geheimdienst CIA, die Arbeitsweise zweier BND-Agenten in Bagdad während des Irakkrieges – und allerlei andere dubiose Vorgänge aus der Welt des Pullacher Dienstes, der zudem von dem Gerangel um den geplanten Umzug nach Berlin gebeutelt ist.

Die richtige Bombe schlug aber erst am Abend des Tages ein: Unter Berufung auf das streng geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium (PKG), das am Vortag zusammengekommen war, berichtete die Süddeutsche Zeitung, der Bundesnachrichtendienst habe in weit größerem Ausmaß als bisher bekannt Journalisten bespitzelt und sie in rechtswidriger Weise bei der Arbeit und bis ins Privatleben hinein beschattet. Hintergrund ist ein Bericht des früheren Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, den dieser im Auftrag des PKG verfasst hat.

Anders als bisher vom BND beteuert, soll der Geheimdienst nicht nur einzelne Journalisten beschattet haben. Der Dienst habe Journalisten auch gezielt auf Kollegen angesetzt, um zu erfahren, an welchen Themen sie gerade arbeiteten. Besonders interessiert war der BND demnach an Redakteuren des Magazins Der Spiegel, offenbar weil diese in den 90er-Jahren einen Plutoniumschmuggel der Pullacher Agenten von Moskau nach München aufgedeckt hatten. Namentlich nenne Schäfer fünf Journalisten, die entweder selbst Informationen über Kollegen anboten oder vom BND befragt wurden, was sie über Kollegen berichten könnten.

Noch im Herbst 2005 nahm der BND laut dem Bericht Informationen über einen bekannten deutschen Journalisten entgegen. Auch Gaststätten, von denen der Dienst vermutete, dass Redakteure dort Informanten träfen, seien überwacht worden. Schäfers Untersuchung belegt nach Angaben der Zeitung auch, dass der BND Journalisten Geld für Informationen gezahlt hat. Ein ehemaliger Focus-Journalist, heute Buchautor, habe so von 1982 bis 1998 mehr als 600.000 Mark erhalten. Schäfer bezeichnete die Praktiken laut der Süddeutschen als „unverhältnismäßig“ und „eindeutig rechtswidrig“.

Gerne hätte man im Anschluss an das Bekanntwerden des Schäfer-Berichts etwas über die Reaktionen der PKG-Mitglieder erfahren. Das Gremium ist indessen auf strenge Verschwiegenheit verpflichtet, weshalb sich allenfalls indirekt in Erfahrung bringen lässt, was die Geheimdienstkontrolleure so denken. Am weitesten wagte sich gestern Max Stadler von der FDP vor. „Ich halte die Vorgänge für skandalös“, sagte er, wohl ein Indiz dafür, dass Stadler die Wertung des Schäfer-Berichts richtig wiedergegeben sieht. Auch sein Parteichef Westerwelle bezeichnete die offensichtliche Bespitzelung als „handfesten Skandal“.

Die Vertreter der Grünen und der Linkspartei, Hans-Christian Ströbele und Wolfgang Nešković, wiesen gestern pflichtgemäß gegenüber der taz darauf hin, dass sie zum Inhalt der PKG-Sitzung nichts sagen dürften. Wie Stadler kündigten beide aber an, eine umgehende Sondersitzung der PKG zu fordern. Dort solle auch über eine offizielle Stellungnahme diskutiert werden. Ströbele sagte zudem an, er wolle sich für die Freigabe möglichst vieler der Akten einsetzen – erst dann könne über fällige Konsequenzen gesprochen werden.

Sollte der BND aber tatsächlich in großem Stil Journalisten bespitzelt haben, sei das ein Riesenskandal, sagte Nešković: „Wenn die Vorwürfe stimmen, dann muss das personelle Konsequenzen haben.“ Seine Parteifreundin Petra Pau wurde deutlicher: „Die Verantwortung dafür dürfte der ehemalige BND-Chef August Hanning tragen.“ August Hanning ist heute Staatssekretär im Innenministerium, sein Nachfolger als BND-Chef ist Ernst Uhrlau.

Forderungen nach dem Rücktritt von August Hanning schloss sich FDP-Mann Stadler nicht an. „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die gleich personelle Konsequenzen fordern, bevor die Fakten nicht eindeutig auf dem Tisch sind.“

Aus dem BND war zu vernehmen, der Sachverhalt sei an sich „nichts Neues“ – und dass der Dienst selbst im Herbst vergangenen Jahres zur Aufklärung der Vorwürfe beigetragen habe. In diesem Licht gesehen, fiel die Reaktion der Bundesregierung überraschend hart aus: Konsequenzen seien nicht ausgeschlossen, sagte Vizeregierungssprecher Thomas Steg. Etwaige disziplinarische Maßnahmen könne nur der BND selbst mitteilen. Steg hob zudem hervor, dass die Bundesregierung keine „unehrenhaften Infiltrationsversuche“ billige und dagegen vorgehe, falls es sie gegeben habe.

„Es ist beängstigend, wie die Arbeit von Journalisten in den vergangenen Monaten durch Überwachung eingeengt worden ist“, klagte gestern auch Michael Konken, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). „Die Politiker haben versagt in ihrer Pflicht, die Journalisten zu schützen.“ Das Kontrollgremium „ist eine Farce. Dort wird nicht nachgefragt, sondern eine Als-ob-Kontrolle simuliert und werden zudem überflüssige Infos ausgetauscht“, ergänzt Thomas Leif, erster Vorsitzender des Netzwerks Recherche.

BND-Chef Uhrlau scheint auf dem Geburtstagsfest etwas geahnt zu haben. „Nicht immer waren alle kritischen Fragen unbegründet“, meinte er nachdenklich, um dann fortzufahren: „Einige blieben unbeantwortet.“

MITARBEIT: MAURITIUS MUCH, GESA
SCHÖLGENS, DOMINIK SCHOTTNER