piwik no script img

Poesie als Letterkehr

Wechselbälgerisch im Weinberg der Worte: Der Georg-Büchner-Preis geht in diesem Jahr an den aus Siebenbürgen stammenden Sprach- und Lautartisten Oskar Pastior

Von Raoul Hausmann stammt die „Phonetische Erklärung“, dass kein Dichter Gedichte machen kann, wie das die Leute tun, sondern indem er Gedichte „hör-spricht“ mit Vokalen, Konsonanten und Diphtongen: „Sie müssen Buchstabenlaute machen / Sie müssen sie aussprechen / Sie müssen sie zwischensprachlich machen.“ In diesem Zwischenbereich der Sprache wuchert und prangt der „Grübel“-Garten des Letterartisten Oskar Pastior. Aber anders als Hausmann, der die „Schlüsselaussprache des alten Latein“ favorisierte, schöpft der 78-jährige Pastior sein Wort- und Lautreservoir, seinen „krimgotischen Fächer“, aus einer bunteren Aussaat: Sein „Mützentausch der Buchstaben“ vermischt Klangmaterialien siebenbürgerisch-sächsischer Mundart mit Sedimenten aus archaischem Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch und enthält dazu reichlich Spuren slawischer, romanischer und englischer Herkunft.

Anders gesagt, der kleine schiefe Schritt zur Seite wird in einem „kraus waldigen und ondulatorischen“ Sprachdickicht für das Unterschiedene, die Differenz im Sprachbewusstsein optimiert; während Pastior den Sprachkörper befühlt und bepflanzt, beschneidet und begießt, entstehen – seit nunmehr über vier Jahrzehnten– kontrolliert wild wachsende Zuneigungen zum Text. Oskar Pastior ist der Prototypus des minutiös harkenden, gezielt aussäenden Gärtners. Er ist ein fähiger Züchter, der es bravourös versteht, seine Aufzucht magisch hochzupäppeln: „Heraufbeschwören, zitieren, vorführen, beim Wort nehmen, es am Beispiel packen, es übersetzen, übertragen, verteidigen und hochhalten.“

Geboren am 20. Oktober 1927 in Hermannstadt wurde aus dem Rundfunkredakteur und „Kistennagler“ der große Sprachmagier unserer Gegenwart. Seitdem der Student Pastior in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts mit der europäischen Moderne vertraut wurde, arbeitet der hagere Mann mit dem akkuraten Schnurrbart und den halben Gläsern am sprachmystischen Furor seiner Werke. Zu Ostern 1968 machte er sich auf zu seiner letzte Reise durch Rumänien, von Bukarest nach Wien; im Westen geht er seither – ausdauernd – seinen ungewöhnlich arabesken poetischen Weg.

Die lyrischen Vorlieben waren von Anfang an weit gesteckt. Während sich Pastior mit „Gedichtgedichten“ (1973), „Übertragungen aus dem Frequenzbereich“ (1975) und „Tangopoemen“ (1978) als kongenialer Nachfolger der historischen Avantgarde bewährte, der die kompliziertesten Prozeduren für die Erzeugung poetischer Strukturen sich meisterlich zu Eigen machte, empfahl er sich immer eindrucksvoller als originell textendes Talent. Seine „sonetburger“ (1983) und „Anagrammgedichte“ (1985) illustrieren das Verfahren, das Oskar Pastior leidenschaftlich umtreibt: jene im Sinne der „Oulipo“-Bewegung („Ouvroir de Littérature Potentielle“) durchexerzierten Formzwänge, „alphabetische, konsonantische, vokalische, syllabische, phonetische, graphische, prosodische, rimische, rhythmische und numerische“ Programme. Carlfriedrich Claus prägte dafür das Wort „Sprachblatt“, das weniger ästhetisch oder gar nur sprachlos-emotional genossen als vielmehr durchdacht werden will.

In zahlreichen Veröffentlichungen hat Pastior die sprachspielerischen Evergreens voll permutativem Wucher verfolgt: Palindrom, Pantum, Sestine, Villanella, „Vokalisten & Gimpelstifte“. Er demonstriert, wie aus den wohl abseitigsten Gedichtgestalten neue lyrische Funken zu schlagen sind. Poesie als Letterkehr: Das zeitigte Folgen in die Dunstsphäre von Metonymie, Synekdoche, Oxymoron oder auch Metapher. „Wechselbälgerisch“, wie Pastior gern zu schreiben pflegt, vollzieht sich diese „textgenerierende Einschränkung mittels Buchstabengewichtung“.

In seinen jüngsten Büchern, „Übersetzungen“ aus dem Werk des russischen Futuristen Velimir Chlebnikov (2003) und der „Godmother“ Gertrude Stein (2004), gelingt es Pastior zu zeigen, was ihm für den Charakter experimenteller Literatur als Spielgarten der Moderne signifikant erscheint. Er stellt – mit außerordentlicher Meisterschaft – fest, wie „etwas“ zu einem Zeitpunkt in der Luft liegt: „In der Tat ist jene Landschaft oder Sprechweise oder Sprachwiese immer noch eine Almhütte von Gerüchen, fast ein Chalet.“

Der begabte Rezitator liebt die Sprachbegegnung aller Art – und wir profitieren in reichem Maße von seiner Lust am Textgewebe. Seine intellektuelle Schärfe, die das Wesen der Sprache schlagartig zur Evidenz bringt, hat ihre Wurzeln in humorigem Temperament. Als offizielles Echo erhält Oskar Pastior in diesem Jahr den Georg-Büchner-Preis, die bedeutendste deutsche literarische Auszeichnung, für seine Arbeit im Weinberg der Worte. Ein kluger Nachhall. Also: Gratulation!

OLIVER RUF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen