ICE-STRECKE NÜRNBERG–MÜNCHEN: MUSTERBEISPIEL FÜR VERKEHRSPOLITIK
: Basar der Eitelkeiten

Wer ein gutes Beispiel sucht, wie am Standort Deutschland Verkehrspolitik betrieben wird, sollte einen Blick nach Bayern riskieren. Dort wurde jetzt die ICE Neubaustrecke Nürnberg–München eröffnet. Auf Wunsch des damaligen bayerischen Wirtschaftsministers Otto Wiesheu verläuft die Strecke über Ingolstadt. Der Bau hat 3,6 Milliarden Euro gekostet, 1,6 Milliarden mehr als geplant. Auch weil für die Trassenführung über Ingolstadt 82 Brücken und für ein Drittel der Strecke Tunnels gebaut werden mussten. Kaum ein Gutachten, in dem nicht die Alternativstrecke über Augsburg als weitaus kostengünstiger, wirtschaftlicher und ähnlich schnell gepriesen wurde.

Aber was spielt Geld für eine Rolle, wenn es um Wählerstimmen geht? Ingolstadt liegt in Oberbayern. Wiesheu ist Oberbayer. So einfach ist Verkehrspolitik in diesem Land. Was gebaut wird, hängt eher davon ab, welcher Regionalpolitiker am lautesten „Hier!“ geschrien hat, als von eher störenden Fragen nach Effizienz und Sparsamkeit. Den Test kann jeder machen: Homepage seines Bundestagsabgeordneten aufrufen und nach dem Stichwort Verkehr suchen. Jede Umgehungsstraße, jeder ICE-Anschluss wird dort als Erfolg eines jahrelangen Kampfes dieses Abgeordneten beschrieben. Das ist nicht mal übertrieben. Wenn ein Bundestagsabgeordneter etwas für seine Region tun will, dann klopft er an die Tür des Bundesverkehrsministers und verlangt Geld für eine Straße. Geht es um die Trassenführung, erinnern die Debatten an einen Basar der Eitelkeiten. Wieso haben die und wir nicht?

Verkehrsminister Tiefensee verfügt mit 24 Milliarden Euro über den größten Investitionsetat des Bundes. Kein Wunder, dass das Begehrlichkeiten weckt. Und kein Wunder, dass viele Politiker eine vollständige Privatisierung der Bahn kritisch sehen. Sie verlören erheblich an Einfluss, wenn Investitionsentscheidungen künftig allein im Bahnvorstand getroffen würden. Wiesheu hat da vorgesorgt. Der sitzt seit Januar selbst im Bahnvorstand. Das sicher nicht wegen seiner besonders nachhaltigen Verkehrspolitik. THORSTEN DENKLER