Sofia und Bukarest müssen nachsitzen

EU-Kommission hält Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum 1. Januar 2007 weiter für möglich. Zuvor müssen beide Kandidaten aber deutliche Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption und der Verwaltung der Agrarsubventionen machen

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Unangenehme Wahrheiten lassen sich leichter im persönlichen Gespräch übermitteln, müssen Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Erweiterungskommissar Olli Rehn sich gedacht haben. Deshalb reisten sie gestern Abend, nachdem sie dem Europaparlament die neuesten Fortschrittsberichte zu Rumänien und Bulgarien vorgestellt hatten, gleich weiter nach Bukarest. Heute Morgen werden sie in Sofia erwartet.

Einen Schock dürfte der Inhalt der beiden Dokumente bei den Adressaten allerdings kaum auslösen. Die Frage, die sowohl die Gemüter in Brüssel als auch in den Kandidatenländern in den letzten Wochen am meisten bewegte, beantworten die Berichte zwar nur indirekt, aber durchaus in deren Sinne: Sämtliche Mahnungen beziehen sich auf das Beitrittsdatum 1. Januar 2007.

So moniert die Kommission zum Beispiel, dass Bulgarien von den fast 90.000 Seiten europäischer Gesetze und Vorschriften erst 95 Prozent ins Bulgarische übersetzt habe. 44 Prozent der übersetzten Texte müssten noch von den zuständigen Behörden geprüft werden, bevor sie bei den Europäischen Institutionen hinterlegt werden könnten. „Die bulgarische Regierung wird aufgefordert, dieser Angelegenheit die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, sonst könnte der Acquis nicht rechtzeitig zum Beitritt am 1. Januar 2007 veröffentlicht werden.“

Vor dem EU-Parlament in Straßburg erinnerte Erweiterungskommissar Olli Rehn gestern an die Erfolge der zwei Jahre zurückliegenden letzten Erweiterungsrunde und sagte: „Es ist unsere Pflicht, beide Länder am 1. Januar 2007 aufzunehmen. Es ist aber auch die Pflicht der Kommission, zu prüfen, ob alle Bedingungen erfüllt sind.“ Diese recht widersprüchliche Aussage wurde von den meisten Abgeordneten ohne Nachfragen akzeptiert. Lediglich Daniel Cohn-Bendit bezeichnete den Beitrittsautomatismus als einen Fehler. „Das Beispiel Polen hat doch gezeigt: Wenn ein Land erst mal Mitglied ist, traut man sich nicht mehr, etwas gegen die Entwicklung dort zu sagen!“

14 Bereiche waren im Herbstbericht über Rumänien noch in der kritischsten Kategorie, was in der seltsamen Sprache der Fortschrittsberichte damit umschrieben wird, dass sie „Anlass zu ernster Sorge“ gaben. Alle bis auf vier sind nun in die Kategorie gerutscht, wo „verstärkte Anstrengungen“ nötig sind, um alle Auflagen bis zum Beitrittstermin zu erfüllen. In Bulgarien bereiten noch immer mehrere Politikbereiche der Kommission „ernste Sorge“: Verwaltung und Kontrolle der Agrarsubventionen und der europäischen Strukturhilfe, der Kampf gegen organisierte Kriminalität, gegen Betrug, Korruption und Geldwäsche.

Die Liste für Kategorie zwei („verstärkte Anstrengungen“) ist für beide Länder noch immer sehr lang. Sie umfasst vom Schutz des geistigen Eigentums über tierärztliche Grenzkontrollen, Umweltverschmutzung durch Industrieanlagen bis zum Deckungskapital für Banken oder Beihilfenkontrolle fast alle Politikbereiche.

Diese Liste gibt einen Hinweis darauf, wie sich die EU-Kommission den Übergang der beiden Neulinge in die Europäische Gemeinschaft in der Praxis vorstellt: Überall dort, wo eines der Länder die EU-Standards gravierend verfehlt, wird Brüssel aus der Mitgliedschaft resultierende Rechte aussetzen – so lange, bis der Mangel behoben ist. Barroso und Rehn können also in Bukarest und Sofia darauf verweisen, dass die Kommission am Beitrittsdatum 1. Januar festhält. Liest man das Kleingedruckte in ihrem Bericht, wird aber doch auf absehbare Zeit eine Mitgliedschaft zweiter Klasse daraus.