RALPH BOLLMANN POLITIK VON OBEN
: Ist Linsensuppe links?

Zu Zeiten Helmut Kohls galt Pfälzer Saumagen noch als konservativ. Heute wäre er kulinarisch gesehen ein Linker

Inzwischen haben auch deutsche Politiker gelernt, wie man mit Essen Politik machen kann. Oder mit dem Reden darüber. „Als wir im Herbst 2008 das Bankenrettungspaket geschnürt hatten“, sagte Angela Merkel vor ein paar Tagen in einem Interview, „da habe ich in meinem Büro einen Teller Linsensuppe gegessen.“

Ich musste an ein Buch denken, das ich vor ein paar Jahren im Urlaub gekauft hatte. „Abgeordnete zu Tisch“, hieß es, und es enthielt Interviews mit italienischen Politikern. Die wichtigste Frage an jeden von ihnen lautete: Gibt es so etwas wie linkes oder rechtes Essen?

Geht es nach Fausto Bertinotti, muss sich die FDP nun große Sorgen machen. „Alle Gerichte mit intensivem Geschmack, mit einer engen Verbindung zur Region sind links“, antwortete der langjährige italienische Kommunistenchef. „Heute, mit der kulturellen Verfeinerung, hat die Küche der kleinen Leute über die feine Küche gesiegt. Es ist der Sieg der Armen über die Reichen.“

Das Essen, das in dem Buch am häufigsten als links genannt wird, ist Pasta all’Amatriciana. Nudeln mit einer Soße aus Speck und Zwiebeln, Peperoncino und Tomaten. Es ist so etwas wie die italienische Linsensuppe. Ein karges Essen aus der einfachen Küche, bei dem es trotzdem auf die Zutaten ankommt. Der Speck zum Beispiel muss aus der Schweinebacke kommen, das ist wichtig. Bauchspeck wäre falsch.

Es hat sich viel verändert, seit Helmut Kohl 1982 Kanzler wurde. Seine Vorliebe für gefüllten Saumagen galt damals als Ausdruck konservativer Verstocktheit. Es war die Zeit, als man in akademischen Kreisen lieber einen belanglosen Pinot Grigio trank als einen großen Riesling. Heute wäre Kohl ein Linker, mindestens kulinarisch.

Der Römer Giulio Andreotti, diabolischer Strippenzieher der italienischen Nachkriegspolitik, ist ein älterer Generationsgenosse Kohls. Er teilt die Küche seiner Heimatstadt noch in verschiedene Lager auf: Innereien sind rechts, Ochsenschwanz ist links. Auch das ist altes Lagerdenken, vor dem Aufkommen der grünen Slow-Food-Bewegung. Heute haben sich Ochsenschwanz und Innereien zusammengetan, gegen McDonald’s und Bocuse. Das Bodenständige gegen das globalisierte Einerlei, die Neobürgerlichen gegen die Neoliberalen. Linsensuppe gegen Gerhard Schröders Currywurst und das Abgehobene der FDP.

Aber vielleicht bringt die Linsensuppe Westerwelle auch auf ganz andere Gedanken. Wem sie am liebsten eine vergiftete Frikadelle servieren möchten, wurden die italienischen Abgeordneten noch gefragt. „Da gäbe es mehr als einen Empfänger“, antwortete Andreotti. Dem FDP-Chef fiele die Auswahl wohl nicht schwer.

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz. Foto: archiv