: Mit dem Arsch nach oben
KOLUMBIEN Antanas Mockus will der erste grüne Präsident Kolumbiens werden. Dank seines modernen Internetwahlkampfs gelingt ihm das wohl auch
■ Der Termin: Am Sonntag, den 30. Mai wählen die Kolumbianer ihren Präsidenten. Nach den letzten Gallup-Umfragen liegt der rechtsautoritäre Juan Manuel Santos mit 37,5 Prozent knapp vor seinem grünen Herausforderer Antanas Mockus mit 35,4 Prozent.
■ Die Wähler: Umfragen in Kolumbien sind mit besonderer Vorsicht zu genießen, denn erreicht werden nur Wahlberechtigte in Klein- und Großstädten. Traditionell geht kaum jeder Zweite zur Wahl. Unter den Ärmeren dürfte der Rechtskandidat dank neuer Sozialprogramme punkten, die Grünen setzen auf die Mobilisierung der Nichtwähler. Ein Mockus-Video unter: taz.de/mockus
VON GERHARD DILGER
Bogotá, Oktober 1993: Als Präsident der Nationalen Universität zeigt der Mathematiker und Philosoph Antanas Mockus einem tobenden Auditorium das nackte Hinterteil, um sich Gehör zu verschaffen. Eine Videoaufnahme der Szene in den Abendnachrichten macht ihn schlagartig in ganz Kolumbien berühmt. Ein Jahr darauf wählen die Einwohner Bogotás den Antipolitiker nach einem Antiwahlkampf ohne teure Plakate oder Werbespots mit einem Rekordergebnis zu ihrem Bürgermeister.
In zwei erfolgreichen Amtszeiten gelang es dem Sohn litauischer Einwanderer, die chaotische Millionenstadt liebens- und lebenswerter zu machen. Er organisierte Entwaffnungskampagnen, setzte weiß geschminkte Mimen als Verkehrspolizisten ein, verweigerte sich jeglicher Vetternwirtschaft und hielt die Finanzen zusammen. Unter Mockus und seinen Nachfolgern Enrique Peñalosa und Lucho Garzón wurde Bogotá mit seiner drastisch gesunkenen Zahl von Morden, seinen Fahrradwegen und dem Schnellbussystem Transmilenio zum Vorbild für Metropolen in aller Welt.
Ähnlich wie damals in der Hauptstadt soll Mockus nun in ganz Kolumbien, das seit Jahrzehnten in einem scheint’s endlosen Mehrfrontenkrieg steckt, eine zivile Wende einleiten. Darauf setzen inzwischen Millionen, in den Umfragen liegt der Grüne leicht vor Juan Manuel Santos, der das rechtsautoritäre Projekt von Staatschef Álvaro Uribe fortsetzen will.
Ein Antipolitiker ist Mockus heute nicht mehr, aber treu ist er sich geblieben. Seit Monaten führt der mittlerweile 58-Jährige mit gestutztem und ergrautem Seemannsbart den originellsten Präsidentschaftswahlkampf in der Geschichte Kolumbiens. Der begann bereits mit den betont harmonischen Vorwahlen der neuen Grünen Partei, in denen er sich gegen Peñalosa und Garzón durchsetzte. Als er Anfang April auch noch Sergio Fajardo, einen ähnlich gepolten Exbürgermeister aus Medellín, als Vize gewann, begann sein Aufstieg in den Umfragen.
Die grüne Fangemeinde ist ziemlich jung und sehr urban, sie drückt dem Wahlkampf ihren Stempel auf. Wie die Anhänger Barack Obamas 2008 setzt sie vor allem aufs Internet. Einen „substanziellen Wandel in der Politik“ registrierte Mockus vor Tagen erfreut und twitterte an seine gut 40.000 „Followers“: „Sehr beeindruckend, dass siebzig bis neunzig Prozent der Anwesenden bei den Veranstaltungen antworten, dass sie wegen fb dorthin gekommen sind“.
Facebook, fb, das ist seine wohl wichtigste virtuelle Wunderwaffe. Der einschlägigen Statistik zufolge ist er jener Politiker, der im letzten Monat am meisten zulegte. In der Politweltrangliste liegen nur die zwei Obamas, Sarah Palin und zwei Politiker aus den Philippinen vor ihm, er selbst nähert sich bereits der Marke von 700.000 Fans. Hinzu kommt seine professionell gestaltete Website. Auf YouTube hat sich der dänische Dokumentarfilm „Bogotá Change“ über seine Amtszeiten als Bürgermeister zum Renner entwickelt.
Auf Mockus’ Facebookseite folgt fast im Sekundenrhythmus ein Eintrag dem anderen, während der Fernsehdebatten wird es noch hektischer. Der Journalist Germán López ist so ein Netzaktivist, der von Panama aus „rund um die Uhr“ für Mockus streitet. „Die Leute organisieren sich selbst, sie schaffen, ergreifen die Initiative“, schreibt er begeistert. Seit Januar habe er viele Gleichgesinnte kennengelernt.
Das Internet fasziniert den bisherigen Nichtwähler als „Werkzeug der Zivilgesellschaft und der Bürgerkontrolle“. Auch nach Panama, wo 300.000 Kolumbianer wohnen, sei die „grüne Welle“ geschwappt“, berichtet López, die zahlreichen „Illegalen“ könnten aber in der Botschaft nicht wählen.
Insgesamt hat erst rund die Hälfte der KolumbianerInnen regelmäßigen Zugang zum Internet. Besonders in jenen ländlichen Gebieten, die von paramilitärischen Gruppen kontrolliert werden, haben die Grünen einen schweren Stand. Dennoch sei er dieser Tage auch mitten in der Provinz immer wieder auf Mockus-Plakate gestoßen, sagt Nicolás Vargas, 24, der in Bogotá Ökologie studiert. Er schwankt noch zwischen Mockus, dessen wirtschaftspolitische Vorstellungen er „gar nicht grün“ findet, und dem Linken Gustavo Petro.
Der Kandidat des „Alternativen Demokratischen Pols“ setzt ebenfalls auf die sozialen Netzwerke, seit neuestem auch Juan Manuel Santos. Doch die grüne Hegemonie bei Facebook und Twitter bleibt ungebrochen. Mit seinem Beharren auf Ethik und Legalität hat Mockus einen Nerv der kolumbianischen Gesellschaft getroffen, die der Gewalt, der Bespitzelungsskandale und der grassierenden Korruption der achtjährigen Uribe-Ära überdrüssig ist.
Über das Internet findet eine Repolitisierung breiter Schichten statt, in den Städten häufen sich grüne Flashmobs. Die Wahlbeteiligung am 30. Mai dürfte sämtliche Rekorde brechen. In den letzten TV-Debatten wirkte Santos, als hätte er schon verloren. „Wenn wir 10 Millionen Nichtwähler erreichen, dann ist sogar auf Anhieb die absolute Mehrheit drin“, gibt sich Netzaktivist López siegesgewiss.
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