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In, um und um Germanistan herum

Es war ein Desaster: Wie Nietzsches Schwester Elisabeth im Dschungel von Paraguay arische Rassemenschen, rein und vegan, züchten wollte. Jetzt bringt ein Amerikaner deutsche Kultur zurück nach Nueva Germania. Eine Forschungsreise zur Villa Silberblick in Weimar

VON HENNING KOBER

Es ist einer dieser Tage, an denen der Frühling anfängt und wir, der Doktor und Ihr Reporter, gleiten auf der Autobahn 9 hinaus ins Neue Deutschland. Gerade unter der alten Westberliner Zollbrücke durch, rein nach Brandenburg. Rechts steht schon wieder ein frisch errichtetes Bürohaus mit dem hässlichen eBay-Logo auf dem Dach. Es ist nach wie vor ein schneller Wagen, Silberpfeil. Doch wir prügeln jetzt nicht los, die Sportreifen für den Sommer schaukeln noch im Kofferraum.

Lieber Leser, Sie werden sich konzentrieren müssen, wollen Sie sich nicht zu sehr verwirren lassen von all den Namen, Stimmen und Gerüchen, die diese Geschichte zusammenhalten. Da sind, immer am interessantesten, die Menschen: Doktor David Woodard, die Geschwister Nietzsche, Bernhard Förster, der sich später umbrachte, natürlich Richard Wagner, auch die Schriftsteller William S. Burroughs und Christian Kracht, der zum Tode verurteilte Timothy McVeigh und noch einige weitere Charaktere. Auf welche Straße dies nur führen soll, werden Sie jetzt vielleicht denken. Bitte vertrauen Sie Ihrem Reporter. Denn wahr ist: Zur Wahrheit ist es doch nie eine gerade Linie. In diesem Fall ist es eine Spur um die halbe Welt.

„Schauen Sie, dieser Tisch!“ Frau Friedrich, Aufsichtsdame, dämpft ihre Stimme. Fast schon geflüstert: „Thomas Mann und Adolf Hitler saßen hier.“ Pause, schnell hinterher: „Freilich nicht zusammen.“ Der Doktor nickt und zieht seine Hand von der Tischplatte weg. Wir sind in der Villa Silberblick, auf einem Hügel über der stolzen Stadt Weimar. Es riecht alt. Zu Tisch bat hier einmal Elisabeth Nietzsche. Seit 1887 wohnte sie mit ihrem geisteskranken Bruder Friedrich in dem Backsteinbau. David Woodard ist Amerikaner. Es ist sein erster Besuch in Deutschland, er versteht nur wenig der Landessprache. Wie er so dasteht, still, in dem schmal geschnittenen, dunkelblauen Anzug, das rote Tuch um den Hals: ein Diplomat. Er ist gekommen, um sein Projekt vorzustellen, vielleicht Verbündete zu finden.

„Warum geht der denn nicht ans Telefon?“ Frau Friedrich versucht, Herrn Schmidt-Grepaly zu erreichen, Nietzsche-Forscher im Obergeschoss, unerreichbar. „Urlaub hat der doch gar nicht.“ Sie beendet ein privates Gespräch schnell: „Wir haben hohen Besuch.“ Und bietet dann etwas ratlos an: „Wollen sie sich nicht etwas umschauen?“ Hier im Nietzsche-Archiv. Im Nebenraum, einst das vom belgischen Art Nouveau Designer Henry van de Velde gestaltete Wohnzimmer, ist Friedrichs Totenmaske ausgestellt. Ein helles Zimmer. Cremefarbener Teppich. Einbaumöbel aus Nussbaum. Ein Flügel. Aus den Fenstern weiter Blick über Weimar. An der Innenseite der Gipsmaske hängen einige Barthaare des Toten. An der Stirnseite thront auf einer monumentalen Säule die Büste. Doktor Woodard betrachtet das über dem Kamin in die Wand eingelassene goldene N.

Frau Friedrich entdeckt inzwischen auf ihrem Tisch eine Packung Tee, die der Doktor ihr geschwind auf den Tisch gestellt hat. Ein Präsent. Unter dem Schriftzug „Elisabeth Nietzsche’s Yerba Maté“ ist ein Edvard-Munch-Porträt der einstigen Hausherrin gedruckt. In Frau Friedrichs Gesicht steht Verwunderung. Ihre Hände wenden das mysteriöse Päckchen aus braunem Papier hin und her. Macht das Angst?

Dazu muss man wissen: Elisabeth, die Dame mit dem Dutt, etwas moppelig am Kinn, gilt in Weimar als böser Geist. In der Stadt von Goethe und Schiller schämt man sich ihrer. Ihrer, die herrisch über ihren Bruder verfügte, als der sich nicht mehr wehren konnte, und sein Werk in ihrem Sinne abänderte. Ihrer, die überzeugte Antisemitin und leidenschaftliche Freundin von Adolf Hitler.

Nietzsche benennt in „Also sprach Zarathustra“ als „tiefsten Gedanken“: das Prinzip der ewigen Wiederkunft. Alles schon geschehen, alles geschieht wieder. Hier mal ein Beispiel: Da war diese Frau in Großbritannien. Da ist jetzt diese Ostdeutsche in unserem Land. Nach den Frauen kommt die Sehnsucht. Der Drang nach Cool Britannia und Cool Germania. Nur hierzulande ist das Neue Deutschland das Geschäft von „Du bist …“, einer Band namens Mia, Florian Langenscheidt und noch so ein paar willigen Pudeln. Was sie schaffen, und bestimmt noch nicht einmal bewusst, ist Germanistan zu nennen. Elisabeth war schon da. Als Friedrich noch nicht verrückt war, nannte er seine jüngere Schwester „das Lama“. Eine Anspielung auf ihren Naturraum in Paraguay. Dort gründete Elisabeth mit ihrem Mann Bernhard Förster, einem Schulmeister aus Jena, die Siedlung „Nueva Germania“. Es gibt sie noch immer. Von dort hat David Woodard den Tee mitgebracht.

Wie ist es dort? Doktor, bitte, erzählen sie. „Sehr ‚Mann gegen Natur‘ “, sagt er. In der Luft steht roter Staub, geschwängert vom Aroma kokligen Schweinefleischs. Da auf seinem Bett sitzt Fritz, einer der Schweikhardt-Brüder, und schaut einen Schwarz-Weiß-Film. Der Pastor hat seine Jeans gebügelt. Ein Mord kostet zehn Dollar und kann im nahen Santa Rosa bestellt werden. Fröhliche nackte Kinder rennen umher. Traurige Kinder in Lederhosen stehen stumm. Das sind die deutschen Kinder. Sie wissen nicht, warum sie Lederhosen tragen müssen.

Mit seinen feurigen Aufrufen überzeugt der entlassene Bernhard Förster 14 sächsische Familien, die 1886 ihre Heimat verlassen und sich mit dem exzentrischen Pärchen auf das Abenteuer einlassen. Elisabeth erweitert das eugenische Utopia um den sozialistischen und vegetarischen Gedanken. An der Gabelung der Flüsse Aguaray-mi und Aguaray-guazu, 150 Kilometer nördlich von Paraguays Hauptstadt Asunción, schlagen sie ihre Zelte auf. Es wird ein dramatisches Scheitern.

Auf dem staubigen Boden wächst das Getreide nicht. Malaria, Tuberkulose, Schlangenbiss und Sandflöhe machen den Sachsen das Leben zur Hölle. Förster wird nach zwei Jahren alles zu viel. Nach einem Besäufnis vergiftet er sich. Seine Witwe hält noch bis 1893 aus, dann lässt sie ihr Fürstentum im Stich und kehrt nach Thüringen zurück.

Wie in Nueva Germania heute über Elisabeth gedacht wird, möchte Frau Friedrich gern wissen. „Ihr Name hat immer noch einen Klang, aber die Jüngeren haben wenig Ahnung von ihrer Geschichte. Sie verstehen nicht, warum sie im Dschungel leben“, erklärt der Doktor. Zudem hat der Inzest über die Jahrzehnte seine Spur hinterlassen. Woodard hat eine gute Idee. Er plant, in Acunción ein Kulturinstitut zu eröffnen, das die zahlreiche deutschstämmige Population von Paraguay über ihre Herkunft aufklären, besonders aber den Bewohnern von Nueva Germania neues Selbstbewusstsein geben soll.

Doktor, wer sind Sie? „Ich bin Dirigent“, sagt David Woodard. Er wurde 1969 geboren und wuchs im kalifornischen Santa Barbara auf, studierte später Musik. Aus seiner besonderen Sensibilität geht ein besonderes Interesse für besondere Menschen hervor, die in den letzten 15 Jahren seinen Weg gekreuzt haben. Mit Anfang zwanzig lebt er in Lawrence, Kansas, in der Nähe des alten Burroughs. Immer wieder komponiert Woodard „Prequiems“, Musikstücke für Sterbende, die seinen Klängen noch vor ihrem Tod lauschen. Für Timothy McVeigh etwa, der, als Oklahoma-Bomber zur Giftspritze verurteilt, selbst nachdrücklich auf der Vollstreckung bestand.

Eines Tages sieht David Woodard eine BBC-Reportage über Nueva Germania. Als freier Mann und Verehrer von Nietzsche und Wagner reist er im Oktober 2004 kurz entschlossen dorthin. „Man hat mich begrüßt wie einen Staatsgast“, erinnert er sich an seine Ankunft. Etwa 800 Menschen leben heute im Dorf. Zehn Prozent sind direkte Nachfahren der Sachsen. Von den in Paraguay in großer Zahl existierenden deutschen Siedlungen ist Nueva Germania im ärmlichsten Zustand, lange vergessen und in den Nachkriegsjahren von der Bundesrepublik nur schamhaft spärlich mit Entwicklungshilfe bedacht. 1992 erst kam der Stromanschluss.

In Weimar ist man ähnlich verkniffen. Frau Fischer zeigt aus dem Fenster. Nebenan der Villa Silberblick steht, von Gewächs kaschiert, eine gewaltige Nietzsche-Ruhmeshalle. Nach Elisabeths Tod aus Hitlers Privatetat gebaut, Mussolini schickte eine Dionysosstatue als Geschenk. Während der DDR-Zeit war dort der Rundfunk. Jetzt soll an einen privaten Investor verkauft werden. „Interessant“, sagt der Doktor. Er bietet mittlerweile organisierte Gruppenreisen nach Nueva Germania an. Christian Kracht und der Regisseur Kenneth Anger haben an der letzten teilgenommen. Auch so zwei, die sich für komplizierte, schwer zu ordnende Situationen interessieren. Langsam zieht die Geschichte ihre Kreise. Amerikanische Hilfsorganisationen schicken Medikamente. US-Vizepräsident Dick Cheney hat seine Unterstützung zugesagt.

Dann steht die Sonne schon tief über der Villa Silberblick. Wir müssen gehen. Frau Fischer, auf Wiedersehen, das war sehr nett mit Ihnen. Auf dem Rückweg noch nach Röcken. Nietzsche ist dort geboren und begraben, Elisabeth auch. Es ist ein ganz kleines Nest. Schwere Grabplatten neben der kleinen, buckligen Kirche. Der Doktor legt die Hand für einen Moment auf die schwere Platte. „Schön ist es hier, friedlich.“ Es war ein eindrücklicher Tag für ihn, bestärkt ihn in seinen Plänen. Auch ohne die Unterstützung des Nietzsche-Archivs, die haben selbst kaum Mittel, wird er es schaffen. Im Herbst fährt er wieder nach Paraguay. Während wir auf der linken Spur zurück in die große Stadt drängen, fern leuchten drüben die Lichter von Leuna, erzählt der Doktor von noch einem Plan. Er hat das verfallene Anwesen von Bernhard Förster gekauft. Dort soll in den nächsten Jahren ein etwas kleinerer Nachbau des Bayreuther Festspielhauses entstehen. Ein Architekt ist beauftragt, die Finanzierung steht. Wie herrlich wäre das denn, würden bald zur Eröffnung Angela Merkel und all die anderen Bayreuth-Boten über den roten Teppich in Nueva Germania schreiten. Es singt der Chor der Lederhosenknaben. Der Doktor dirigiert.

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