Selbst Demokraten zweifeln an Reform

USA Nicht eine halbe Million, sondern nur gut 100.000 US-AmerikanerInnen haben bislang eine neue Krankenversicherung unterzeichnet. Jetzt droht eine neue politische Attacke auf die Gesundheitsreform

Mehr als 40-mal haben Republikaner versucht, die Reform zu kippen oder auszuhöhlen

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Die große Reform schrumpft erbärmlich zusammen. Nur 106.000 Menschen haben im ersten Monat, in dem das mit der Gesundheitsreform möglich war, eine neue Krankenversicherung unterzeichnet, hat die US-Regierung am Mittwoch in Washington erklärt. Sie hatte eine mindestens fünfmal höhere Resonanz auf ihre am 1. Oktober eröffnete Krankenkassenbörse im Internet erwartet.

Während InternetexpertInnen immer noch versuchen, die immer wieder blockierte Website ordnungsgemäß zu starten, bereitet die Republikanische Partei eine neue politische Attacke gegen die Reform vor. Am Freitag wird sie ein Gesetz im Repräsentantenhaus vorlegen, das die in der Gesundheitsreform vorgesehene generelle Versicherungspflicht um ein weiteres Jahr verschiebt. Sie geriete noch näher an die nächsten Wahlen in den USA heran. Erstmals erwägen eine Reihe von demokratischen Abgeordneten, am Freitag gemeinsam mit den RepublikanerInnen zu stimmen.

Während die Zustimmung zu Obamas Präsidentschaft bei einer Umfrage der Quinnipiac-Universität in diesem Monat radikal gesunken ist, stimmen immer neue SpitzenpolitikerInnen in den Chor der Gesundheitsreformkritik ein. In dieser Woche forderte Expräsident Bill Clinton seinen Nachfolger im Weißen Haus auf, dafür zu sorgen, dass alle US-AmerikanerInnen, die das wollen, ihre alte Krankenversicherung behalten können. Barack Obama hatte das ursprünglich versprochen. Doch in den vergangenen Wochen haben Hunderttausende bislang minimal Versicherte Kündigungsschreiben von ihren Versicherungen erhalten.

Die RepublikanerInnen im Repräsentantenhaus haben mehr als 40 Versuche gestartet, um die Gesundheitsreform zu kippen, auszuhöhlen und zu verschieben. Der letzte – und bislang spektakulärste – war die 17-tägige partielle Schließung der US-Regierung im Oktober. Was den neuen Anlauf am Freitag von den vorausgegangenen unterscheidet, ist die Kehrtwende von DemokratInnen aus dem rechten Parteiflügel. Sie machen öffentlich keinen Hehl mehr daraus, dass sie befürchten, bei den Wahlen im November 2014 ihre Mandate wegen der Gesundheitsreform zu verlieren.

Bei einer Sitzung von demokratischen Kongressabgeordneten und Weißem Haus am Mittwoch war die Stimmung explosiv. Mehrere Abgeordnete beklagten die falschen Versprechen von Obama. Er sei „frustriert“, erklärte der Abgeordnete Mike Doyle und verlangte, dass die Regierung statt „Techno-Geplapper“ für den Zugang zu der Internetplattform sorge.

Im Kongress gehen unterdessen die Anhörungen über die Reform weiter. Nach anfänglichen Entschuldigungen für die Pannen kündigen dort jetzt MitarbeiterInnen des Gesundheitsministeriums an, dass sie an ihrer Plattform arbeiten und die jede Woche besser werde. Und reden sich so heraus: „Wir haben die Menge von Nutzern unterschätzt.“ Republikanische Abgeordnete, die bislang nicht durch ein Datenschutzengagement aufgefallen sind, haben inzwischen begonnen, die Internetbörse auch deshalb zu kritisieren, weil zu viele persönliche Informationen verlangt würden.

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