Kann man dem Iran vertrauen?
Ja

URAN Der neue iranische Präsident Hassan Rohani gibt sich moderat. Eine Einigung im Atomstreit scheint näher als je zuvor

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Walter Posch, 47, Iran-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin

Die Atomverhandlungen mit den Vertretern der Islamischen Republik Iran ziehen sich nun ein gutes Jahrzehnt hin. Bislang scheiterten sie am gegenseitigen mangelnden Vertrauen, obwohl 2005 und 2009 eine Lösung zum Greifen nahe schien. Der neue Präsident, Rohani, ist mit allen politischen Fraktionen Irans gut vernetzt und genießt das volle Vertrauen Chameneis. Er versucht nun erneut, den Nuklearkonflikt unter Wahrung der iranischen Interessen zu lösen. Anlass zur Sorge bieten Teheran vor allem die Neuformierung der Al-Qaida-Ableger in Syrien und darüber hinaus. Ein stilles Arrangement mit den USA über die Regionalpolitik wird daher aus Teheraner Sicht immer wichtiger – und dies ist nur mit einer Lösung des Atomkonflikts möglich.

Ruprecht Polenz, 67, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag

Ja, ich kann mir vorstellen, dass man dem Iran in Zukunft mehr Vertrauen schenken kann – unter bestimmten Voraussetzungen. Für den Iran gilt der alte Spruch von Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Deshalb zielen die jetzt angestrebten Vereinbarungen auf erweiterte Kontrollbefugnisse der Internationalen Atomenergiebehörde. Es kann Vertrauen entstehen, wenn der Iran für Transparenz bei seinem Nuklearprogramm sorgt. Das Land muss sich von den Wiener Kontrolleuren unangemeldet in die Karten schauen lassen. Ich denke, dass sich im Iran schon viel verändert hat. Einerseits durch den neuen Präsidenten Rohani, andererseits durch die Wirkung der Sanktionen. Beides zusammen hat dazu geführt, dass es im Iran einen neuen Blick auf die Staatengemeinschaft gibt. Setzt sich dieser Prozess fort, könnten sich die Beziehungen zwischen Iran und dem Westen in Zukunft verbessern.

Omid Nouripour, 38, wurde im Iran geboren und sitzt für die Grünen im Bundestag

Es gibt nur einen Weg herauszufinden, ob wir dem Iran unter dem neuen Präsidenten Hassan Rohani vertrauen können: Wir müssen mit ihm reden. Rohani hat seine Bereitschaft angekündigt, schnell zu einer Vereinbarung über das Nuklearprogramm zu kommen. Damit hat er das Argument entkräftet, der Iran spiele nur auf Zeit. Zudem genießt Rohani für seine Politik der Verhandlungsbereitschaft allem Anschein nach breite Unterstützung: von den BürgerInnen, die ihn ins Amt gewählt haben, ebenso wie vom geistlichen Führer Chamenei, der diese Wahl akzeptiert hat. Deshalb müssen wir Rohani eine Chance geben. Nachhaltiges Vertrauen kann es nur geben, wenn die iranischen Nuklearaktivitäten nach einem Deal kontrolliert werden. Zugleich muss der Iran darauf vertrauen können, dass für neue Maßnahmen der Öffnung Sanktionen tatsächlich aufgehoben werden.

Nein

Benjamin Netanjahu, 64, ist Ministerpräsident des Staates Israel

Die vorgeschlagene Vereinbarung mit dem Iran ist nicht nur für Israel gefährlich. Sie ist eine Gefahr für den Weltfrieden, weil sie Druck aus den Sanktionen nimmt, während der Iran de facto weiterhin die Möglichkeit haben wird, Uran anzureichern und auf die Herstellung von waffenfähigem Plutonium hinzuarbeiten. Keine einzige der rein militärischen Zwecken dienenden Zentrifugen soll gemäß diesem Deal unbrauchbar gemacht werden. Iran droht mit der Vernichtung Israels. Das Land ist ein Sponsor des Terrors weltweit. Es tritt den USA in Afghanistan und Irak feindlich gegenüber. Es dominiert Libanon und den Gazastreifen. Es hat Brückenköpfe auf der Arabischen Halbinsel und in Afrika etabliert. Das alles tut der Iran, ohne im Besitz nuklearer Waffen zu sein. Man kann sich vorstellen, was er täte, wenn er sie hätte, und welche Verwüstungen Hisbollah und Hamas anrichten würden, wenn sie sich unter seinem nuklearen Schutzschirm befänden. Daher besteht verantwortliche Politik gegenüber einem solchen Regime einzig darin, es an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern.

Charlotte Knobloch, 81, war bis 2013 Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses

Gerne würde ich Rohanis Worten glauben. Doch seine antiisraelischen Äußerungen noch vor Amtsantritt waren entlarvend. Er offenbarte sein wahres Gesicht, erstickte Hoffnungen auf einen Kurswechsel im Keim. Die nachgeschobenen, trickreichen Wendungen überzeugen mich noch nicht. Seine vermeintliche Liberalität ist nicht tragfähig. Ohne die Gnade des absoluten Machthabers Chamenei wäre er nicht Präsident. Das Mullah-Regime lässt keinen Zweifel an seinem Hass auf Israel und die USA und seinem Misstrauen gegen den Westen. Die Hoffnungen auf Wandel sind romantisch, voreiliges Vertrauen leichtsinnig. Worte reichen nicht, faule Kompromisse wären verheerend. Verhindern können das nur Druck durch Sanktionen und Verhandlungen mit klaren Forderungen.

Deidre Berger, 60, ist Direktorin des American Jewish Committee in Berlin

Zwischen dem Westen und dem Iran findet eine Annäherung statt. Als Geste des guten Willens schlagen Diplomaten vor, schon jetzt die Sanktionen zu lockern. Verwunderlich, denn es ist der Iran, der den Frieden bedroht und sich neues Vertrauen erst verdienen muss. Und 100 Tagen nach Rohanis Amtsantritt herrscht eher Rückschritt. Das Atomwaffenprogramm läuft laut der Internationalen Atomenergiebehörde unvermindert weiter. Seit Rohanis Amtsantritt ist die Zahl der Hinrichtungen gestiegen, bleiben die Gefängnisse überfüllt mit Regimekritikern und hat die Verfolgung von Minderheiten zugenommen. Nicht Verhandlungsbereitschaft an sich, sondern Taten rechtfertigen neues Vertrauen in den Iran!

Lutz Bucklitsch, 54, ist Geschäftsführer des 2010 gegründeten Berliner Vereins Flüchtlingshilfe Iran

Nein, noch gibt es viele Gründe für Zweifel gegenüber dem Iran. Denn eines ist klar: Die Regierung von Präsident Rohani kann nicht selbst entscheiden, welche Forderungen sie in den Verhandlungen akzeptiert. Das letzte Wort hat der mächtigste Mann im Iran, der religiöse Führer Ali Chamenei. Noch ist offen, ob er Rohanis Kurs unterstützen wird. Er kann die Verhandlungen mit den UN-Vetomächten und Deutschland platzen lassen, ohne anwesend zu sein. Aber die westlichen Verhandlungsführer sollten sich der Einflussnahme aus Israel, insbesondere Netanjahus, entziehen und Kompromisse eingehen. Eine Urananreicherung bis zu 20 Prozent für friedliche Zwecke sollte akzeptabel sein.