Nur Nolly- und Ghollywood boomen

KINO II Ein Workshop untersucht die Beziehungen zwischen den Filmindustrien Europas und Afrikas

„The Art of Collaboration“ war ein im Rahmen der Film- und Veranstaltungsreihe „Re_Imagining Africa“ in der Heinrich Böll Stiftung durchgeführter Workshop überschrieben, zu dem zahlreiche afrikanische Filmschaffende angereist waren; zum Ziel gesetzt hatte man sich die Erkundung „neuer Modelle und Wege der partnerschaftlichen Kooperation zwischen Filmakteuren in Deutschland und Afrika“.

Der Tag begann mit einer Irritation, die immerhin geeignet war, die Notwendigkeit derartiger neuer Wege zu offenbaren: Wolfgang Schneider, der an der Universität Hildesheim einen „Unesco-Lehrstuhl für Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse“ innehat, eröffnete seine Keynote zwar mit einem Karl-Valentin-Zitat, beschränkte sich im Folgenden jedoch darauf, diverse Verlautbarungen kulturpolitischer Kommissionen zu „interkulturellem Dialog“ zu paraphrasieren, ohne auch nur ansatzweise auszuführen, wie sich solche Schlagworte zur Gegenwart des Kinos, des afrikanischen gar, verhalten könnten.

Im Laufe der Veranstaltung zeigte sich dann vor allem, wie wenig Bezug die Sprache der institutionalisierten Kulturpolitik zur Praxis des Kulturschaffens hat.

Ambivalentes Bild

Das Bild, das der Workshop dann von der Gegenwart des afrikanischen Filmschaffens zeichnete, ist ein äußerst ambivalentes. Einerseits entstehen über den gesamten Kontinent verteilt immer mehr Filmfestivals und auch Filmschulen – vor allem die Digitalisierungswelle ab Ende der 1990er, die Produktionsmittel erschwinglich machte, scheint als Beschleuniger gewirkt zu haben.

Andererseits aber ist die klassische Kinoinfrastruktur, die es in vergangenen Jahrzehnten zumindest in einigen Regionen durchaus einmal gegeben hat, fast vollständig verschwunden: In Ländern wie Kamerun oder Burundi gibt es keinen einzigen regelmäßig bespielten Kinosaal mehr – so zumindest berichten Regisseure aus den Ländern.

Gleichzeitig verschwinden auch die alten Finanzierunsmodelle: Europäische Filmförderinstitutionen, die das Kino des Kontinents seit der Dekolonisierung der sechziger und siebziger Jahre dominieren, haben immer weniger Geld für afrikanische Projekte übrig. Und dass die europäische Arthausdistribution als alternativer Absatzmarkt fast komplett weggebrochen ist, tut sein Übriges; in Deutschland kann man froh sein, wenn pro Jahr wenigstens ein, zwei afrikanische Filme einen regulären Kinostart erhalten – und dabei vierstellige Zuschauerzahlen erreichen.

Pedro Pimenta, ein Produzent aus Mosambik, zog ein radikales Fazit: „Die Party ist zu Ende, die Zeit der üppigen Fördergelder aus Europa ist vorbei.“

Auf den Straßen von Lagos

Die einzigen stabilen Erfolgsgeschichten sind derzeit die Videofilmindustrien in Nigeria („Nollywood“) und Ghana („Ghollywood“) – in ökonomischer Hinsicht zumindest: schnell und billig heruntergekurbelte Genrefilme, die sich, auf DVDs gepresst und auf den Straßen von Lagos und Accra, längst aber auch in zahlreichen anderen afrikanischen Ländern, für kleine Beträge angeboten, problemlos amortisieren.

Filmästhetisch zeigen diese neuen, digitalen Filmindustrien bisher eher keine neuen Wege an. Ein unbestreitbarer Vorteil ist jedoch ihre Flexibilität und Dynamik, gerade im Vergleich zu den klassischen Förderstrukturen: Wiederum Pimenta erzählte eine Anekdote von einem Nollywood-Produzenten, der von einer französischen Förderinstitution auf mögliche Zuschüsse aus deren Töpfen hingewiesen wurde; da eine der Voraussetzungen dafür ein französischsprachiges Drehbuch ist, Nollywood aber hauptsächlich auf Englisch dreht, boten ihm die Förderer an, eines seiner Skripte für ihn zu übersetzen. Als sie sich mit der übersetzten Version wieder in Lagos meldeten, winkte der Produzent ab: Der betreffende Film war längst abgedreht.

Weitere Ideen, die durch diverse Gespräche spukten, waren: Crowdfunding, Konzentration auf kürzere Formate, Distribution via Internet. Allzu viele konkrete Hinweise darauf, wie die Zukunft des afrikanischen Kinos aussehen könnte, lieferte der Workshop nicht – in Europa dürfte sie nicht zu suchen sein.

LUKAS FOERSTER