Du lebst doch schon

Während die Initiative „create berlin“ ohne Fernsehturm international hoch hinauswill, gibt es bei „Designmai Youngsters“ Entwürfe zu besichtigen, die noch nicht im Mainstream angekommen sind.

VON JAN KEDVES

„Suburbia“: ein wunderschönes Wort für nur selten schöne Orte. Zu häufig gerät die ungeliebte Peripherie in letzter Zeit in die Schlagzeilen. Brennende Banlieues in Frankreich und so weiter. Nun schreiben sich die „Designmai Youngsters“, der Nachwuchsförderungsableger des Designmai, in diesem Jahr das Motto „Design Suburbia“ auf die Fahnen. Da liegt es nahe, mit so etwas wie ästhetischen Strategien zur lebenswerten Gestaltung von Vorstadtwüsten, ja vielleicht sogar mit Deeskalations-Design zu rechnen. Immerhin spürt der große Bruder Designmai in diesem Jahr unter dem Motto „Designcity“ auch dem Eingreifen von Designern in den Stadtraum nach.

Nichts dergleichen ist dann aber der Fall: Bei Designmai Youngsters (DMY) scheint „Suburbia“ lediglich synonym für ein anderes Wort zu stehen, das man wohl nicht mehr so gerne in den Mund nimmt: Underground. Eine geografische Verschiebung, die irritiert. Und tatsächlich lenkt nur eines der in der Kunstfabrik am Flutgraben gezeigten DMY-Projekte den Blick in üblicherweise als Alltagseinöde wahrgenommene Produktwelten: „Ideal Standard – Der Charme der Dinge“, eine Kooperation der FH Potsdam und der École des Beaux-Arts de Toulouse, zeigt Designobjekte, über die man in der Regel gerne hinwegsieht – Klobürsten, Handfeger, Eiskratzer, Wäscheständer. Um eine Sensibilisierung der Blicke soll es hier gehen.

Ansonsten springen bei der Begehung der über 2.000 Quadratmeter DMY-Ausstellungsfläche in der Kunstfabrik aber vor allem zwei Themen ins Auge: „Ikea“ und „Vereinsamung“. „Billy“, das meistverkaufte Regal der Welt, wird mit dem angenehm aufmüpfigen „Pimp My Billy“-Zubehör des Designertrios Ding 3000 aus Hannover noch praktischer, als es schon ist: Dank einer einseitig montierten Eichenholz-Stütze wird der Ikea-Klassiker so in Schräglage gebracht, dass Buchstützen überflüssig werden. Anders die Studenten der Hansei-Universität aus Seoul: Sie sind zum diesjährigen Korea-Schwerpunkt eingeladen und stellen ihr Projekt „Ikorea“ vor. Es spürt den Auswirkungen eines Ortswechsels auf kulturelle Identität nach. Mit europäischer Hardware – Pressholzplatten sowie einem Tisch und vier Stühlen von Ikea – versuchen die Studenten einen typisch koreanischen Wohnraum nachzubilden. Dafür müssen sie den Stühlen natürlich die Beine absägen.

Mit Vereinsamung beziehungsweise mit Möglichkeiten ihrer Überwindung und Versüßung beschäftigen sich dann gleich drei Beiträge: „Tabunt“, ein Forschungsprojekt von Designstudenten aus Halle, präsentiert Produkte, die gemeinsam benutzt werden sollten – wie etwa ein Hocker-Pas-de-deux, das aus der Balance gerät, wenn man alleine auf ihm Platz nimmt. Björn Franke aus London hält mit „Spuren einer imaginären Affäre“ einen Werkzeugkasten parat, der es erlaubt, sich selbst täuschend echte Knutschflecken zu verpassen. So lässt sich zumindest nach außen hin der Anschein eines aktiven Soziallebens erzeugen. Tobias Fränzel aus Weimar hingegen schraubt eine Tischtennisplatte in einen Türrahmen: Klappt man die eine Hälfte hoch, spielt man als Solitär, klappt man sie runter, darf der Zimmernachbar mitmachen. Pingpong als Sozialisierungsmaßnahme.

Allesamt haben diese Produktideen zweifelhafte Markteinführungschancen – sicherlich. Dennoch bilden sie einen angenehmen Kontrast zu den ebenfalls bei DMY vertretenen Entwürfen, die zwar schön, nüchtern, elegant oder sogar raffiniert sind, aber ein Gespür für den Bonus vermissen lassen, den das Vorläufig-noch-nicht-im-Mainstream-angekommen-Sein bietet. Talentförderung für Streber. Davon kann auch das mit allerhand coolen Keywords wie „Guerilla-Party“, „Klublabor“ oder „Designerdinner“ um sich werfende Rahmen- und Nachtprogramm von DMY nicht ablenken.

An anderer Stelle, auf dem „großen“ Designmai am Gleisdreieck, ging es derweil am Donnerstagabend um eine andere Form der Talentförderung: Das frisch gegründete Netzwerk create berlin präsentierte sich und sein Logo. Create berlin ist ein privater Zusammenschluss von 16 Berliner Designunternehmen und Institutionen, wie Art+Com, Bread&Butter, UdK und Vitra Design Museum. Das Netzwerk nimmt den Berlin kürzlich von der Unesco verliehenen Titel „City of Design“ zum Anlass, Design aus der Stadt, egal ob aus Mode-, Produkt- oder Corporate-Bereich, ein Gütesiegel zu verpassen – natürlich schielend auf bessere internationale Vermarktungschancen.

Kein leichtes Unterfangen, lässt sich doch „Berliner Design“ – also das, was die 1.500 in der Stadt ansässigen Designunternehmen machen – höchstens als strukturelle, keinesfalls jedoch als ästhetische Kategorie fassen. Dafür liegen zwischen dem barock-farbenfrohen Pomp des Modedesignerduos Unrath & Strano und den klinisch weißen Pressholzmöbeln von Rafael Horzon doch ästhetische Marianengräben. Dementsprechend schwer also die in einem Wettbewerb ausgeschriebene Aufgabe, ein Logo für create berlin zu entwickeln.

Berliner Bär? Fernsehturm? Oder etwa das Brandenburger Tor? Am Donnerstagabend wurde ein Entwurf zum Sieger gekürt, der erfreulicherweise keine Berlin-Klischees bemüht: Der Designer Martin Christel abstrahiert die Initialen von create berlin zu Löchern, die aus Papier ausgestanzt werden. Gute Platzhalter für alles, was die Initiative gerade so zu promoten beabsichtigt. Dass dieser Entwurf im Kuratorium des Netzwerks den größten Zuspruch erhielt, obwohl er mutig sämtliche Briefings ignorierte, zeigte zumindest eins: Manchmal siegt am Ende eben doch die Kreativität. Eine Botschaft, die gerade den experimentierfreudigeren unter den Nachwuchsdesignern schmecken dürfte.

Designmai noch heute und morgen; DMY mit Ausstellung, Workshops und Klub in der Kunstfabrik am Flutgraben; mehr Infos und Programm unter www.designmai.de bzw. www.designmai-youngsters.com