„Beiseite, Erdling!“

KANTOMIAS rettet das menschliche Ohr vor schäbigem Faschingscountry

Aus KANTOMIAS soll die erbärmliche Kreatur COUNTRYMIAS werden

Was in Kreuzberger Hinterhof-Einzimmerwohnungen an kreativem, komischem und musischem Potenzial verborgen liegt, lässt sich erahnen, wenn man „Kantomias rettet die Welt“ hört, ein musikgestütztes Hörspiel von Paul Plamper, Robert Ohm und P. R. Kantate. Ihre liebevolle Persiflage auf Superheldengeschichten hat so viele gute Einfälle, wie andere in zehn Produktionen nicht zusammenbringen.

Ein junger, namen- und mittelloser, heftig von der Liebe träumender Mann, der einer alten Hausbewohnerin die Einkäufe besorgt und sich dafür von Freunden als „Opfer“ beschimpfen lassen muss, ist in seinen Träumen KANTOMIAS: Retter der Welt, Liebling der Frauen und, wie er selbst sagt: „der Rächer der unteren Zehntausend, der Erlöser der Einfallsschwachen und Ideenarmen“. Zu leiden hat er unter Fencheltee statt Kaffee zum Frühstück – und unter seinem Hauswart, U-Bahn-Kontrolleuren, dem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt, identisch bellenden Fieslingen, die allesamt KRÜGER heißen. KANTOMIAS kommt hinter ihr Geheimnis: Sie alle sind geklonte dreidimensionale Spam-Mails. Das klingt sehr vertraut und plausibel für einen Bewohner des Planeten Erde zu Beginn des dritten Jahrtausends.

Im zweiten Handlungsstrang muss KANTOMIAS die schurkische Musikindustrie bekämpfen: Ein Country-Kartell unter Führung von TEAMLEITER THORSTEN ist ausgesandt worden, um alle Musik in die Country-Jagdgründe zu schicken. Die begeisterte Teilhabe korrupter Musikmedien ist garantiert: „Das ist ein kosmopolitischer Country, äähm ein globaler Country, es ist eben eine Massenbewegung, es ist vielleicht das Stichwort, das intellektuelle Stichwort …“, lallbackt in der Talkshow einer dieser feuilletonistischen Nullsatzschnacker, genau wie in echt.

Die Country-Gehirnwäsche funktioniert, die Cowboyhutmafia ist gut organisiert. „Wir sind ein Team!“, brüllt alles in begeisterter Gleichgeschaltetheit, der Song „Steaks for the Starving“ wird als Country-Benefit-CD herausgebracht. Es gibt Country-Geschichtskurse: „Cäsar war ein Farmer. Zur Blütezeit des Römischen Reiches …“, in der Country-Kindergruppe singen die Kurzen: „Alle lieben Cou-ountry, Country, der ist schön.“ TEAMLEITER THORSTEN hat noch größere Pläne: „Beethoven, Gesamtausgabe, richtig so’n bisschen aufgepeppt mit Country“, will er herausbringen, von Africa Bambaata bis zum Weihnachtslied gibt es alles in der „Original-Country-Version“.

„Kantomias rettet die Welt“ bordet über vor Ideenreichtum, Witz, Nebenhandlungs-Schlenkerei und entzückender Albernheit. Dass es gelang, als Erzähler Manfred Lehmann zu gewinnen, die deutsche Synchronstimme von Bruce Willis, ist ein Coup und gibt dem Ganzen Halt. Lehmanns Stimme verleiht einem Satz wie „Berlin-Kreuzberg, SO 36. Es ist 14.28 Uhr Ortszeit“ Glanz und Größe, ironiefähig ist der Sprecher auch: „Da kann ein Superheld nur eins tun: Taschentücher raus und mitfühlen.“

Leicht ist das alles, spielerisch und von großer Fröhlichkeit. Zum Schluss soll aus KANTOMIAS die erbärmliche Kreatur COUNTRYMIAS werden, der tapfere Held aber, der auch höchst anmutig „Beiseite, Erdling!“ sagen kann, verweigert sich. Ein Fackelzug der durch landesweite Country-Castings restlos identisch verblödeten Massen zieht zum Berliner Olympiastadion, und überall übergeben junge, generalenthirnte Menschen ihre CD-Brenner feierlich dem Feuer. Doch KANTOMIAS bricht den Bann, mit Sätzen, wie sie nur ein echter Superheld sagen kann: „Ick bin aber jar keen Country-Fan. Außerdem jibt’s ja ooch noch janz viel andere Musik. Ick meine, immer nur Country is ja ooch langweilig. Oder, Thorsten?“

Und so geschieht es: Die manipulierte Masse spurt nicht mehr, wird unruhig und löst sich auf. TEAMLEITER THORSTEN aber jault: „Lasst mich zurück, ich schaff’s nicht mehr … Sagt meiner Mutter, sie … aaahhh …“

Das Erstaunlichste an diesem intelligent unterhaltenden Hörspiel ist, dass Plamper, Ohm und Kantate es sich ausdachten, lange bevor Faschingscountry-Rumpelfittis wie Olli Dittrich oder Bosshoss begannen, das menschliche Trommelfell zu malträtieren. WIGLAF DROSTE

Plamper, Kantate, Ohm: „Kantomias rettet die Welt. Der Angriff der Klonkrüger“. Der Hörverlag 2005, 14,95 €