mitschriften aus der letzten reihe
: Von Weißen, Affenbabys und Anderen

Unterwegs zu den „Linken Buchtagen“. Der Mann mir gegenüber in der U-Bahn sieht arabisch aus. Ob ich für ihn ein „guter Weißer“ bin, weil ich die taz lese? Im Mehringhof herrscht Workshop-Atmosphäre. Am Stand eines Verlags bleibe ich pro forma stehen und bekomme ein Prospekt gereicht. Sehe ich wie ein „guter Linker“ aus?

Buchvorstellung in einem überfüllten Klassenraum. An der Wand hängt eine Landkarte: „Bundesrepublik Deutschland, physisch“. Die Herausgeberinnen von „Mythen, Masken und Subjekte – kritische Weißseinsforschung in Deutschland“ (Unrast-Verlag) beherrschen den akademischen Jargon. Man muss sich durch Begriffe wie „randständig“, „verorten“ und „Diskurs“ kämpfen, um zu erfahren, worum es geht. „Weißsein“ soll als analytische Kategorie bei der Schaffung einer weißen Identität entwickelt werden. Wie wird „Weißsein“ bestätigt und gefestigt?

In Rassismusfragen geht es meist darum, dass Weiße zu wissen meinen, wie sich Schwarze fühlen. Die Weißseinsforschung kehrt die Perspektive um, wenn z. B. eine schwarze Wissenschaftlerin mit ethnologischem Blick protestantische Initiationsriten erforscht. Man wehrt sich gegen Weißseinsforschung als modischen Theorie-Import aus den USA. Beispiele aus der deutschen Presse und Werbung zeigen, wie tief die Dynamik der Weißseins-Norm auch bei uns sitzt – wenn ein B.Z.-Titel ein blondes, blauäugiges Affenbaby zeigt und verkündet: „Erster Affe als Mensch geboren.“ Oder Persil: „Nur richtig weiß macht glücklich!“

In der Weißseinsforschung geht es darum, nicht nur das Nichtnormale als Projektion kenntlich zu machen, sondern auch das Eigene, die Norm, als Konstrukt und Inszenierung. Die Weißen sind sozusagen farbenblind, weil sie sich dieser Norm nicht bewusst sind. Weißsein müsse als „entnannte“ Kategorie sichtbar gemacht werden. Dabei ist es nicht zwingend die Hautfarbe, die die Grenze ziehe zwischen Machtausübenden und „Geanderten“. Auch der akademische Diskurs sei männlich-hegemonial, also weiß. Eine Position außerhalb Illusion. Gefordert sei deshalb „kritisches Wissen“, das nur durch Aktivismus entstehe: gegen die vorherrschende dekonstruktivistische Doktrin, die Differenzen verhandle, als hätten sie keine politischen Folgen.

Beim anschließenden Schawarma in der Bergmannstraße bemühe ich mich, den netten Betreiber nicht „zu andern“, mein Weißsein nicht zu „entnennen“ oder mich durch ein übertriebenes Trinkgeld von meinen hegemonialen Privilegien zu exkulpieren. JOCHEN SCHMIDT