Gurkenkönige

Sandwiches und Grönemeyer in der Botschaft, warmes Bier und elegische Gitarren im neuen Klub Lido: Die erste „British Music Week“ ist gestartet

VON DAVID DENK

Wo gesungen wird, da lass dich ruhig nieder. Uff. Ein ganz schön volkstümlicher Satz zum Einstieg – doch genau diese sprichwörtliche Weisheit fällt mir eben ein, als die Wachschutzmitarbeiter an der Sicherheitsschleuse plötzlich ein Lied anstimmen: Sie summen nicht, sie pfeifen nicht – sie singen den „Our House“-Refrain von Madness, in Berlinglish. Zauberhaft. Ein surrealer Moment. Und ein Signal: You have just left Berlin – welcome to the British embassy!

Dorthin haben die Organisatoren der British Music Week am Freitagnachmittag zur Eröffnung der weltweit ersten Leistungsschau dieser Art eingeladen: zu einer hübsch betitelten „High Tea Reception“, zwar ohne Tee, dafür aber mit Kaffee, Gurkensandwiches und Herbert Grönemeyer.

Zuerst die Gurkensandwiches, dann das Vergnügen. Zwischen zwei Scheiben labbrigen Weißbrots, das am Gaumen klebt und von reichlich Margarine zusammengehalten wird, manifestiert sich das ewige Rätsel: Wie passt das alles zusammen? Die Beatles und Marmite? Baked Beans und die Arctic Monkeys? Gute Musik und schlechtes Essen – oder ein wenig neutraler: Songs für die Welt und Lebensmittel für Eingeweihte? Warum unterscheiden sich unsere Geschmäcker beim Essen, nicht aber beim Hören? Lauter Fragen, auf die es wieder keine Antworten gibt.

Dabei ist die Podiumsdiskussion nach den Gurkensandwiches hochkarätig besetzt, wie Moderator Peter Radszuhn, Musikchef von Radio Eins, vorsorglich betont – nur eben leider nicht mit Ernährungs-, sondern mit Musikexperten. Die meisten Diskutanten sind Briten, also dem Berliner Publikum eher unbekannt – mit einer Ausnahme: Herbert Grönemeyer, berühmtester Deutscher mit Wohnsitz London. Seine Aussage, dass er auch noch ein Haus in Berlin besitzt, nimmt die Gäste endgültig für ihn ein. Die meisten scheinen eh nur gekommen, um anschließend mit Herbie fürs Familienalbum zu posieren.

Wie immer bei solch gut gemeinten Runden wusste man bald nicht mehr, worüber eigentlich geredet wurde – und das lag ausdrücklich nicht daran, dass Englisch gesprochen wurde. Irgendwas mit Europa als kultureller Einheit, einer Renaissance der Live-Musik und natürlich der Liebe zur Musik. Ach so: Die deutsche Selbstgeißelung kam auch nicht zu kurz, zuständig dafür: Herbert Grönemeyer. Diese Diskussion sei typisch für die Vielrederei hierzulande, maunzte er: „We have to be concerned all the time“, aber die auf der anderen Kanalseite „take ist easier“, und davon könne man viel lernen. Ehrensache, dass er auch die britische imperfection pries. Nur die Hälfte der Mikros funktionierte, und eines der beiden Festivalbanner fiel nach kurzer Zeit von der Wand – meinte er das?

Unterm Strich war die rund einstündige Diskussion trotzdem ein Vergnügen. Das lag an den verschiedenen Typen auf dem Podium – v. l. n. r.: der metrosexuelle Vice President-A&R von Warner Music International mit dem Kindergesicht, der nerdige Blur-Entdecker mit dem hässlich gemusterten Kurzarmhemd, der blasse Deutschrocker mit schütterem Haar, Doppelkinn und jugendlichen Loose-Fit-Jeans, die weiße Löwenmähne mit radiobekannter Reibeisenstimme und roten Schuhen, der Typ mit dem Mini-Laptop und schließlich die durchtrainierte Friteusenlocke, die mal „Top of the Pops“ produziert hat.

Im Anschluss gab’s im Wintergarten, der an ein Flughafen-Terminal erinnert, Fish and Chips aus Papiertüten mit dem Aufdruck „Leipziger Neueste Nachrichten“ – Fusion Food gewissermaßen. Alle Engländer schnell wieder zum Flughafen, Herbie blieb noch ein bisschen.

Abends begann die British Music Week dann offiziell: Im von den Karrera-Klub-Machern pünktlich eröffneten Kreuzberger Lido spielten zunächst Euros Childs aus Wales irgendwie autistischen Elektropop, danach präsentierte Absentee-Sänger Dan Michaelson seinen beeindruckenden Bass, und schließlich versuchten Amusement Parks On Fire aus Nottingham mit reichlich Hall und teilweise drei Gitarren so zu klingen wie eine amerikanische Band. Dazu schüttelten sie fleißig ihre seitengescheitelten Köpfe – nicht aggressiv, eher elegisch. Der säulenlose und nicht schlauchförmige Konzertsaal hat Potenzial. Das Fassbier allerdings war warm. Später soll aber auch noch getanzt worden sein.

Da war ich mit der M10 schon auf dem Weg nach Hause: Am Fahrkartenautomaten wurde ich von einem Bubi auf eine Freifahrt mit seiner Umweltkarte eingeladen. Danke noch mal! Letzter Gedanke im Bett: God save the Queen!

British Music Week noch bis zum 27. 5.: Konzerte, Partys und Filmprogramm; Infos unter: www.britishmusicweek.de