nebensachen aus bangalore
: Carol, das Callgirl der Globalisierung, oder der Hilferuf aus der Warteschleife

„Für meine Kunden heiße ich Carol“, sagt die 24-Jährige. Sie weiß, dass die Beziehung zu genervten Kunden einfacher ist, wenn sie glauben, sie hätten es mit einer US-Bürgerin zu tun und nicht mit einer Inderin, deren richtiger Name Tejasvini Sukruth ist. Ihre Kunden rufen „Carol“ zu jeder Tages- und Nachtzeit an und verlangen umgehende Dienstleistung. Die darf jedoch nur verbal erfolgen. „Carols“ Job dauert im Schnitt 15 Minuten pro Kunde – sofern diese ihre Fragen beantworten. „Manche sagen, sie wollen nichts machen, sondern ich soll sofort vorbeikommen, sonst schmeißen sie ihren Computer aus dem Fenster.“

„Carol“ kann aber nicht mal eben kommen, sondern muss das Problem aus der Ferne identifizieren. So fragt sie als Erstes, ob der Computer eingeschaltet ist. „Manche fragen mich misstrauisch, ob ich überhaupt in den USA bin. Sag ich Bangalore, legen sie entrüstet auf.“ In der südindischen Softwaremetropole arbeiten 200.000 Menschen für Callcenter meist nordamerikanischer Firmen. Sukruth beriet zehn Monate im Callcenter des Computerherstellers Dell Privatkunden, danach bei Hewlett Packard Geschäftskunden. „Im Privatkundendienst werden wir oft angeschrien, Geschäftskunden sind freundlicher.“

„Am schlimmsten war es, als ein Virus im Umlauf war. 200 Kunden hingen in der Warteschleife. Uns blieb keine Zeit zum Luftholen“, sagt Sukruth in akzentfreiem Englisch. Der indische Akzent wurde ihr in einem zweimonatigen Training ausgetrieben. Der Job im Callcenter sei zwiespältig. „Wir müssen immer freundlich und professionell neutral sein. Auf die persönlichen Probleme der Kunden hat uns niemand vorbereitet.“

Gut sei der Lohn. 9.000 Rupien Einstiegsgehalt (156 Euro), nach einem Jahr kann es das Doppelte sein. Eine Redakteurin bei Bangalores Tageszeitung kommt nach sieben Jahren nur auf 7.000 Rupien. Für Callcenter werde man nur kurz angelernt. „Du kriegst den Job, wenn du Computerkenntnisse hast, egal ob du Wirtschaft, Kunst oder sonst was studiert hast.“ Als Software-Ingenieurin fühlt sich Sukruth unterfordert. „Viele sehen die Arbeit im Callcenter nicht als Beruf. Die Fluktuation ist hoch.“

Ungewöhnlich sei die Atmosphäre. Da die Kollegen alle gleich jung seien und quasi semesterweise angestellt würden, sei die Stimmung wie im College. Mit 30 zähle man zum alten Eisen und sei Manager oder Gruppenleiter. Negativ seien die Schichtarbeit und das fehlende Wochenende. Samstagnacht oder sonntags bekomme grundsätzlich niemand frei. Und oft müsse in der „Friedhofsschicht“ bis 2 Uhr morgens gearbeitet werden. Weil dann kein Bus mehr fährt, haben die Firmen ein eigenes Transportsystem. Als im Dezember eine Frau auf dem Weg zur Nachtschicht ermordet wurde, löste dies eine Sicherheitsdebatte aus.

Sukruth kündigte nach einem Streit über einen missglückten Nachttransport. Jetzt bereitet sie sich auf einen Job in der Software-Entwicklung vor. Sie hat aber auch grundsätzliche Bedenken: „Geschichte wiederholt sich. Früher beherrschten uns die Briten, heute folgen wir multinationalen Konzernen.“ SVEN HANSEN