„In den Paria-Status gerückt“

LESUNG Woher antizigane Klischees kommen und wie sie uns prägen, erklärt Klaus-Michael Bogdal

■ 65, ist Professor für Literaturwissenschaft an der Uni Bielefeld. Sein Werk „Europa erfindet die Zigeuner“ erhielt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2013.

taz: Herr Bogdal, woher kommen die Klischees über Sinti und Roma?

Klaus-Michael Bogdal: Die frühesten Bilder ranken sich um Religion. Es sind die fremden Heiden, deren religiösen Hintergrund man nicht wirklich einschätzen kann – und dann relativ schnell als türkische Spione bezeichnet. Das andere sind religiöse Legenden. Welche?

Da stehen zwei im Vordergrund: Erstens die angebliche Verweigerung der Herberge für die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. Und zweitens die Kreuzigung Jesu. Üblicherweise wurden Holznägel verwendet und die „Zigeuner“ hätten dann aus charakterlicher Bosheit Metallnägel geschmiedet.

Seit wann werden Sinti und Roma als Kriminelle diffamiert?

Mit dem Ende der mittelalterlichen Ständeordnung und der Verarmung breiter Schichten in den europäischen Ländern werden sie als Bettler und Diebe bezeichnet. Sie sollen immer Trickbetrüger sein, Taschendiebe, also Beutelschneider – bis heute.

Warum halten sich diese Klischees so hartnäckig?

Es ist schwierig zu erklären, wie sich das gegen besseres Wissen hält. Das ist beim Antisemitismus ähnlich. Meine Erklärung ist: Wir haben eine Hierarchisierung von Minderheiten. Die „Zigeuner“ werden in den Paria-Status gerückt, noch unterhalb der Juden.

Inwiefern unterhalb?

Die Juden waren ja in ihren Ghettos rechtsfähig, mit denen konnte man Verträge über Steuern und Abgaben schließen. Dieser Gruppe wurde noch nicht mal dieser Rechtsstatus zugesprochen. Die Sinti und Roma jagte man über 200 Jahre bis ins 18. Jahrhundert hinein von Territorium zu Territorium. Diese Art von Behandlung merkt man sich in der Bevölkerung.

Was bringt eine Gesellschaft dazu, sich eine Minderheit zu suchen und zu diskriminieren?

Die Gesellschaften messen ihren zivilisatorischen Fortschritt an der Zurückgebliebenheit dieser Gruppe. In den aktuellen Einwanderungs- und Armutsdebatten spielt gerade die Frage von Hygiene und Körperhygiene eine Rolle. Darauf waren die Leute im 18. Jahrhundert in Deutschland ganz stolz. Da hatte man mit den Roma Leute, von denen man sagte: „Die bleiben zurück und werden unsere Vorstellung nie erreichen.“ Das spielt ja heute wieder eine ganz große Rolle, wenn immer von Müll die Rede ist.  INTERVIEW: KLI

Lesung: 19. 30 Uhr, in der „theo“, Lutherstraße 7, Bremerhaven