Kampf um die Hoheit im Stadtviertel

Von wegen No-Go-Area: In Dortmund wehren sich Linke und Türken gegen die Zunahme an Neonazis im Viertel

DORTMUND taz ■ In einem Dortmunder Viertel sehen türkische Anwohner aus ihren Wohnungen auf einen Neonaziladen: Der „Donnerschlag“ an der Rheinischen Straße ist Treffpunkt der rechtsextremen Szene und verkauft einschlägige Musik und Kleidung. Am Samstag marschierten mehr als 1.000 Menschen unter dem Motto „Schöner leben ohne Nazi-Läden“ durch das Viertel. Trotz strömenden Regens protestierten sie gegen den Laden. Zur Gegen-Demo kamen rund 70 Rechtsextremisten.

„Die Neonazis sagen schon seit zwei Jahren, dass Dortmund ihre Stadt ist – das wird immer krasser“, meint Micha (45), der dem linken Aufruf gefolgt ist. „Heute haben wir aber deutlich gezeigt, dass wir gegen die Rechten sind.“ Oliver W. vom Bündnis gegen Rechts, das den Protest organisiert, freut sich über die vielen Demonstranten: „Das war nicht zu erwarten, wir sind sehr zufrieden.“ Mit der Kampagne gegen den „Donnerschlag“ fordert das Bündnis Politik und Polizei auf, endlich in der Öffentlichkeit gegen rechte Strukturen vorzugehen. Vergangene Woche hat das Bündnis im Stadtrat bereits mehr als 1.500 Unterschriften für die Schließung des Ladens abgegeben. Das „Donnerschlag“ gilt als wichtiger Bestandteil des rechtsextremen Netzwerkes für die Region um Dortmund, Hamm und Witten.

Die Neonazis auf der Gegendemo haben den Aufruf der Linken in „Schöner leben mit Nazi-Läden“ umgedreht. „Das Motto bedeutet, dass wir uns aus Dortmund nicht vertreiben lassen werden“, sagt Dennis G. (20), der die Demonstration der Rechten angemeldet hat. Alle Räumungsklagen würden nichts bringen. „Dann machen wir halt zwei Straßen weiter einen neuen auf.“ Sich in ihrem Aufruf selbst als Nazis zu bezeichnen, damit haben die Rechten kein Problem. „Mein Gott, das Wort ‚Nazi‘ ist heute negativ belegt, vielleicht wird es in der Zukunft jedoch positiv sein“, meint der angereiste Redner Axel Reitz, bekannt als „Hitler von Köln“.

Juristisch gilt das Motto als legal: „Es ist zwar dreist und ärgerlich, fällt aber unter den Schutz der Meinungsfreiheit“, erklärt die Dortmunder Oberstaatsanwältin Ina Holznagel. „Man könnte auch in der Öffentlichkeit rumlaufen und sagen: ‘Hitler find ich gut‘.“

Der rechte Treffpunkt ist für die vielen ausländischen Anwohner schon Provokation genug. Aidin (27) ist entrüstet: „Wir fühlen uns gefährdet.“ Und Sammaz (28) – ebenfalls Türke – denkt, dass der Laden nur der Anfang ist: „Jetzt ziehen immer mehr von den Rechten hier ein. Es wird immer schlimmer.“ Die rechten Strukturen sollen in der Tat ausgebaut, noch mehr Immobilien gekauft werden, so Dennis G., der in der Szene eine Führungsrolle einnimmt. „Für Leute aus Regionen, in der es keine Nazi-Strukturen gibt, ist Dortmund natürlich lukrativ – hier haben sie alle Möglichkeiten.“

Viele der deutschen Anwohner scheinen der politischen Haltung der Nazis allerdings mit Gleichgültigkeit oder sogar Sympathie zu begegnen: „Die grüßen immer nett – ich komme gut mit denen klar“, sagt Ursula (71), die neben dem „Donnerschlag“ wohnt. Sie sei Kriegskind und daher mit Nazis nicht einverstanden, „aber was soll man machen?“ Auch Andreas (42), sagt: „Ich hab kein Problem mit dem Donnerschlag, die Leute tun mir nix.“ Seinen Unmut wecken andere: „Ich hab eher ein Problem damit, wie die Linken sich aufführen: Häuser beschmieren, die Polizei angreifen, Flaschen schmeißen.“ Auch Matthias kann den Linken nichts abgewinnen: „Die machen soviel Radau.“ Der 16-Jährige bezeichnet sich zwar als „politisch neutral“, seinen Lonsdale-Pulli hat er aber trotzdem im „Donnerschlag“ gekauft. „Ich bin dafür von Linken verbal und körperlich angegriffen, ja sogar angerotzt worden“, sagt er.

Das Bündnis gegen Rechts fordert nun eine Aufwertung des Quartiers um die Rheinische Straße. So lasse sich verhindern, dass die Rechtsextremisten das Viertel in Beschlag nehmen – wenn die Stadt und die Polizei dem Aufruf folgen und gegen die Nazi-Strukturen vorgehen. SIMON BÜCKLE