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Ein Zug zurück

Der US-Amerikaner Gata Kamsky präsentiert sich nach einer schöpferischen Pause wieder in der Schach-Elite

BERLIN taz ■ Alle Schachfans hatten sich auf das Duell zwischen Weltmeister Wesselin Topalow und Exchampion Viswanathan Anand konzentriert. Beim „Superturnier“ in Sofia sollte endlich die Frage geklärt werden, ob derzeit der bulgarische oder der indische Nationalheld die Nummer eins auf dem Globus ist. Doch die gänzlich unerwartete Antwort schien plötzlich so zu lauten: Gata Kamsky. Der Amerikaner beherrschte bis zur vorletzten Runde das sechsköpfige Feld, obwohl ihm noch eine achtjährige Pause in den Gehirnwindungen steckt. Diese nutzte Topalow, um den Rückkehrer zu stoppen und das Turnier mit 6,5:3,5 Punkten knapp vorm Amerikaner (6:4) zu gewinnen.

Kamsky war mit drei Siegen und einem Remis fulminant in die Vorrunde gestartet. „Sein Spiel zeigt, dass es keinen Klassenunterschied zwischen ihm und den anderen Topgroßmeistern gibt“, konstatierte Artur Jussupow. Der deutsche Nationalspieler erkannte jedoch auch ein Manko, bevor der Außenseiter gegen Topalow schwächelte: „Er weist Eröffnungsdefizite auf.“ Im zweiten Duell mit dem Weltmeister hatte Kamsky die Eröffnungszüge vertauscht und ging deshalb in nur 29 Zügen unter. Das Repertoire des einstigen Wunderkinds befindet sich noch auf dem Stand von 1996. Damals hatte sein Vater Rustam nach dem verlorenen WM-Finale gegen Anatoli Karpow beschlossen, dass eine Karriere als Rechtsanwalt in den Staaten einträglicher sei und deshalb sein Filius umzusatteln habe. Fortan studierte der 22-Jährige genauso hartnäckig Jura, wie er zuvor Schach gepaukt hatte.

Das abrupte Ende sorgte für genauso viel Aufsehen wie schon die gesamte junge Karriere. Mit zwei konnte Klein-Gata angeblich bereits lesen, mit vier rechnen und mit sechs schwierige Klavierstücke ohne Ansicht der Noten spielen. Mit acht lernte der Enkel von Gata Sabirow, dem Begründer des tatarischen dramatischen Theaters, Schach kennen. Dank der spartanischen Erziehung durch Rustam Kamsky, der sich als renommierter Boxer auch abseits des Rings als schlagkräftig erwies, gewann das Ausnahmetalent bereits mit 12 und 13 Jahren die U20-Meisterschaft der UdSSR. In die internationalen Schlagzeilen geriet die Familie 1989. Ein Turnier in New York nutzten die Kamskys zur Flucht. Der boxende Papa Rustam befand, dass sein 15-jähriger Sohn in der Sowjetunion behindert werde und er den WM-Titel gegen die arrivierten Parteibonzen nur im freien Westen erobern könne. Nach der Schlappe im WM-Finale gegen Karpow wurde dieser Traum begraben. 1999 kehrte Gata Kamsky für wenige Züge zurück, um bei der WM in Las Vegas einen ihm offerierten Freiplatz zu besetzen und ein paar tausend Dollar für das frühe Aus einzustreichen.

Mittlerweile hat Gata Kamsky eine eigene Familie gegründet und lässt sich nicht mehr hineinreden. So feierte er vor eineinhalb Jahren ein mühsames Comeback bei Open-Turnieren. „Manchmal spiele ich gut, manchmal schlecht. Hier schlug ich aus einer passiven Eröffnungsstellung heraus Ruslan Ponomarjow. Nach diesem Start lief es“, begründet Kamsky seinen zweiten Platz. Inzwischen ist er wieder die Nummer eins der USA. Er reiste von Sofia aus gleich weiter zur Schach-Olympiade, die am Sonntag in Turin begann. Der von Rang drei enttäuschte Anand (5,5:4,5) eilte seinem ohne ihn patzenden indischen Team ebenso zur Hilfe wie die hinter ihm liegenden Peter Swidler (Russland/5:5) und Schlusslicht Etienne Bacrot. Vor den Franzosen hatte sich der Ukrainer Ponomarjow (beide 3,5:6,5) geschoben, der ebenso wie Topalow auf die Olympiade verzichtet.

Der bulgarische Sportler des Jahres sonnt sich lieber im Erfolg in seinem Heimatland. Nach sechs Runden schien der 31-Jährige mit 2,5:3,5 Punkten abgeschlagen. Doch dann kam Topalow in Schwung, und der Großmeister mit dem Kampfnamen „Der Bulldozer“ überrollte nach seinem glücklichen Sieg über Ponomarjow auch Anand, Kamsky und Bacrot. Dank des gelungenen Endspurts mit vier Siegen durfte der Weltmeister die Siegertrophäe aus den Händen von Staatspräsident Georgi Parwanow entgegennehmen. „Mit meinem Ergebnis bin ich natürlich zufrieden – nicht aber mit der Qualität meiner Partien“, urteilte Topalow. Die Qualität reichte jedoch immerhin, um in der Weltrangliste Anand zu zeigen, wer momentan auf Platz eins gehört.

HARTMUT METZ

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