„Der Neoliberalismus ist am Ende“

Am Sonntag wird in Kolumbien gewählt – und die Linke hat eine Chance gegen den regierenden Präsidenten Uribe. Eine linke Regierung würde den Frieden mit der Farc suchen und eine Agrarrefom vorantreiben

taz: Herr Navarro Wolff, kann der Linkskandidat Carlos Gaviria am Sonntag eine Stichwahl gegen Präsident Uribe erzwingen?

Antonio Navarro Wolff: Möglich ist es. In den Umfragen liegt Uribe über 50 Prozent, aber bei der Frage: „Wen wünschen Sie sich als Präsidenten?“ ist er schon unter 50 Prozent gerutscht. Wir haben in den letzten zwei Wochen zugelegt, so dass immer mehr Leute an unsere Chance glauben und nicht mehr taktisch wählen. Es wird eine Stichwahl geben. Allerdings gibt es die reale Möglichkeit eines Wahlbetrugs – die Uribisten könnten bis zu 200.000 Stimmen manipulieren, und das kann entscheidend sein.

In einer Stichwahl wird es aber noch schwieriger, oder?

Ja, für Uribe! Denn seine Freunde und die Medien haben ihn als Unbesiegbaren dargestellt, als Supermann. Wenn er jetzt die absolute Mehrheit verpasst, wird das als seine Niederlage gesehen und als Sieg für uns. Damit käme eine ganz neue Dynamik ins Spiel, und wir könnten sogar die Stichwahl gewinnen.

Manche meinen, die kolumbianische Linke sei auf das Regieren nicht vorbereitet.

Die Linke regierte und regiert in wichtigen Gemeinden und Städten, Bogotá, den Provinzen Valle del Cauca, in mittleren Städten, und das waren und sind gute, effiziente Regierungen. Natürlich können wir auch ein Land regieren!

Wie ordnen Sie Ihre Partei, den „Demokratischen Alternativen Pol“, im Panorama der lateinamerikanischen Linken ein?

Bei manchen Gemeinsamkeiten unterscheiden uns doch einige Eigenheiten, vor allem der bewaffnete interne Konflikt, den wir lösen müssen. Und es gibt wohl keine Linke, deren Programm die Verfassung ihres Landes ist. Ich glaube sogar, dass wir das Zeug hätten, einen Prozess in Lateinamerika anzuführen. Der Neoliberalismus hat eklatant versagt, und wir müssen ein neues Modell für den Kontinent entwickelt.

In den letzten Jahren hat die Farc-Guerilla keine Bereitschaft gezeigt, sich auf einen Friedensprozess einzulassen. Wäre das unter einer Linksregierung anders?

Ich weiß es nicht. Sollte die Farc nicht verstehen, dass sie bei einer Entwicklung hin zu größerer Gleichheit verhandeln müssen, dann sind sie endgültig im Abseits.

Was ist die Farc für Sie?

Sie sind eine sehr ländliche Guerilla, die ihren Ursprung im „Violencia“-Bürgerkrieg (1948 bis 1957) hat. Seither haben sie ein regelrechtes Heer aufgebaut, das in weiten Teilen Kolumbiens aktiv ist. Und sie sind sehr gut organisiert. Wer ihre Stärke nur am Geld festmacht, irrt. Sie haben eine straffe Organisation mit klaren Regeln. Nur deswegen hat sie das Drogengeld nicht auseinander gerissen. Aber manchmal fehlt ihnen das Gespür für die Wirklichkeit des Landes.

Doch jetzt hat die Farc ankündigt, die Präsidentenwahl nicht zu behindern. Das ist neu.

Es ist ein Akt des politischen Realismus. Sehen Sie, was in Lateinamerika passiert: Hätte es eines Beweises bedurft, wie man an die Macht kommen kann, dann hat ihn Evo Morales mit seinem Sieg in Bolivien geliefert, dem Land in dem Che Guevara gestorben ist. Weiter von einem Sieg der Waffen zu träumen, ist eine völlig abwegige Illusion. Der Weg für einen Transformationsprozess in Lateinamerika führt über Wahlsiege. Ich wünsche mir, die Farc würden das verstehen.

Und wenn nicht – wie würde eine Linksregierung reagieren?

Wenn es keinen anderen Weg gibt, muss die Regierung Autorität ausüben. Aber wenn man, wie Uribe, nur militärisch agiert, liegt man falsch. Man doch zur Kenntnis nehmen, dass die Guerilla eine soziale Basis hat, und das liegt an der schreienden Ungleichheit auf dem Lande. Über Generationen hat man die Leute allein gelassen, und das gilt es zu ändern, mit oder ohne Farc. Mindestens zwei Milliarden Dollar müssen in die ländliche Entwicklung gesteckt werden. Wir brauchen eine Agrarreform und ländliche Entwicklung, aber doch nicht in Amazonien. Man muss den Bauern Entwicklungsmöglichkeiten in den anderen Landesteilen anbieten, dort, wo es Märkte, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit gibt.

Wie würde Ihre Drogenpolitik aussehen?

Die US-Politik der wahllosen Besprühungen und der Auslieferung von Drogenhändlern ist am Ende. Die USA haben doch selbst eingeräumt, dass 2005 die Anbaufläche von Koka und Schlafmohn zugenommen hat, und das, obwohl über 170.000 Hektar besprüht wurden, mehr als je zuvor. Präsident Uribe und Bush sind seelenverwandt – sie denken, man könne alles mit Gewalt lösen. Wir haben es den Amerikanern gesagt: Mit uns geht es so nicht weiter. Am besten wäre es, man würde den Konsum legalisieren, aber das hängt nicht von uns ab, sondern von Europa und den USA, von Japan.

INTERVIEW: GERHARD DILGER