Dämmstoff unter Verdacht

BRANDSCHUTZ Das Feuer am Schulterblatt löst eine Diskussion über Wärmedämmfassaden aus

Jährlich werden rund 7.000 Wohnungen in Hamburg mit Polystyrolplatten eingepackt

Der Brand am Schulterblatt am Wochenende hat eine Debatte über die Außendämmung von Fassaden mit Polystyrolplatten ausgelöst. Das Material, mit dem zur besseren Isolierung jährlich rund 7.000 Wohnungen in Hamburg eingepackt werden, gilt zwar als schwer entzündbar – doch steht es einmal in Flammen, wirkt es als Brandbeschleuniger.

Zwar hat die Feuerwehr den Brandverlauf noch nicht abschließend bewertet, erste Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass das Feuer in zwei in einer Gebäudenische abgestellten Müllcontainern durch Brandstiftung seinen Ausgang nahm und sich über die Dämmplatten bis in den Dachstuhl des sechsstöckigen Gebäudes ausbreitete. „Ursprünglich war es ein kleiner Brand, aber die Flammen haben sehr schnell die oberen Geschosse erreicht“, sagt die Feuerwehr.

Die Ursachenanalyse soll Ende der Woche abgeschlossen werden. „Bis Freitag untersucht die Feuerwehr den Brand, dann werden wir wissen, woran es lag“, verriet Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) am Dienstag den Aufklärungsfahrplan.

Fest steht aber schon jetzt: Nur durch Glück und den schnellen Einsatz der Feuerwehr kamen alle Bewohner des Brandhauses mit Rauchvergiftungen davon. Und es ist nicht der erste Brand, bei dem eine Dämmfassade wie eine Fackel wirkte. Bereits 2012 kam es in Frankfurt zu einem Hausbrand, bei dem eine Fassade wie Zunder in Flammen aufging. 1996 war es zu einer Brandkatastrophe gekommen, als bei Schweißarbeiten Styroporplatten an einer Gebäudedecke in Brand gerieten. Aufgrund der schnellen Ausbreitung des Feuers und der starken Rauchentwicklung starben 18 Menschen.

„Polystyrol ist ein Teufelszeug“, klagt Heinrich Stüven vom Grundeigentümerverband: Es könne binnen Minuten eine Fassade in eine „Feuerwand verwandeln“ und verbrenne „hochgradig giftig“. Lobbyverbände wie der Industrieverband Hartschaum pochen hingegen darauf, polysterolhaltige Wärmedämmverbundsysteme seien „sicher“. In einer Stellungnahme des Verbandes heißt es: „Beim Brand eines Müllcontainers an einer Fassade entwickelt sich meist bereits nach kurzer Zeit ein sehr intensiver Brand hoher Intensität und mit Flammenlängen von mehr als drei Metern. Dadurch wird die Verglasung der Fenster mindestens im unteren Geschoss des Gebäudes zerstört, und das Feuer tritt in den Innenraum des Gebäudes ein.“ Auf diesem Weg – und nicht etwa durch die entflammten Dämmstoffe – breite sich der Brand dann blitzschnell aus und greife auf höherliegende Stockwerke über. Der Verband beruft sich dabei auf ein Gutachten des Deutschen Instituts für Bautechnik.

Nach Recherchen des NDR bei der Materialprüfanstalt Braunschweig seien gedämmte Fassaden jedoch bislang nicht auf äußere Brandquellen wie Müllcontainer getestet worden. Die Bauminister-Konferenz habe deswegen ein Forschungsvorhaben gestartet. Das Ergebnis könnte zum Jahreswechsel vorliegen. Der Brand am Schulterblatt dürfte dafür wertvolle Anhaltspunkte liefern.  MARCO CARINI