Das süße Leben im Kapitalismus

Ein aufregender Ausflug in die Oldtimer-Welt Italiens: am Start der „Mille Miglia“

Morcote ist der schönste Ort der Welt. Fußgänger werden immer auf Trab gehalten, weil es auf weite Strecken keine Fußgängerwege gibt, aber dafür Kloster und Burgen, dass man schier wahnsinnig wird vor Freude. Deshalb blieb ich zwei Tage in Morcote.

Das Städtchen Morcote am Luganer See ist ein Ort, den man nur durch Zufall finden kann. Wenn man zum Beispiel versucht, durch die Alpen und durch ein verrücktes Land wie die Schweiz irgendwie nach Italien zu kommen. Und nach Italien will man ja eigentlich auch nur dann, wenn man eine Einladung der weltberühmten Uhrenfirma „Chopard“ zum ebenso berühmten Oldtimer-Rennen „Mille Miglia“ bekommen hat.

Die Strecke nach Mailand war vollgestopft mit Lastwagen, aber gott sei Dank auf der Gegenspur. Kaum war ich an Mailand vorbei, fing das süße Leben an. Das Hotel am Gardasee bot lupenreinen Luxus. Direkt nach dem Einchecken kam Tasso von Berlepsch von der Firma „Chopard“ in mein Zimmer, um mir Geschenke zu bringen: eine Regenjacke, eine Mütze und noch einiges mehr. Mir wurden noch nie zuvor von einem Adeligen Geschenke gebracht. Über das Schweizer Offiziersmesser in der Jackentasche habe ich mich besonders gefreut. Und das Parfüm „Infiniment“ riecht sehr gut. Der Seeblick von der Sonnenterasse schließlich war auch nicht von schlechten Eltern. So gefällt mir der Kapitalismus!

Aber ich tu ja gerade so, als wäre ich korrupt und zynisch. Bin ich aber überhaupt nicht. Ich habe mich zum Beispiel aufrichtig darüber gefreut, Lothar Schnitzler von der WirtschaftsWoche kennen zu lernen. Herr Schnitzler ist nämlich Uhrenexperte und mit ihm kann man surreale Dialoge über meine Armbanduhr führen: „Hat die ein mechanisches Uhrwerk?“ – „Nein, das ist, glaube ich, eine Quarz-Uhr.“ – „Ach, so was gibt’s noch?“ – „Ich glaube schon!“ – „Die Verfärbungen am äußeren Rand sind dann auch echt und nicht irgendwie gefaket?“ – „Nein, das ist echte Abwetzung!“ – „Woher haben Sie denn diese Uhr?“ – „Das war eine Prämie für ein Probe-Abo von Geo!“ – „Die Uhr gefällt mir wirklich gut!“

Ich mochte Herrn Schnitzler einfach. Ich mochte aber eh alles! Zum Beispiel die vielen prominenten Menschen, die beim Mittagessen am Nebentisch saßen. Bis vor einigen Tagen war mir zum Beispiel gar nicht bekannt, dass es einen ehemaligen Rennfahrer namens Jacky Ickx gibt, und Eva Herzigova hielt ich immer für eine Tennisspielerin, dabei ist sie ein sympathisches Supermodel. Otto Schily hingegen habe ich gleich erkannt!

Endlich kam der große Tag: der Start der „Mille Miglia“. Vom Hotel am Gardasee wurden die Journalisten mit dem Bus nach Brescia gekarrt. Das war wie bei einer Klassenfahrt. In Brescia, einer wunderschönen Stadt in der Lombardei, hörte man an diesem Tag nur ein einziges Geräusch: „Roarrrrr, roarrrrr!“

Überall zwischen den alten Häusern standen sie herum: die sagenhaften Oldtimer, die das Glück hatten, fürs Rennen ausgewählt worden zu sein. Ferrari, Porsche, Mercedes mit Flügeltüren, Alfa Romeo, Fiat. Und eine Menge unbekannter Marken, von denen ich noch niemals zuvor gehört hatte. Die Autos dürfen spätestens 1957 gebaut worden sein – so sieht es das strenge Reglement vor. Die Besitzer der Autos sind wahrscheinlich alle Millionäre. Wenn nicht gar Milliardäre. Oder Zahnärzte. Und alle sehen ziemlich gut aus. Wie dieser englische Ferrari-Fahrer, der höchstens 35 Jahre alt war, aber zu Hause einen ganzen Stall mit Oldtimern hat. Was sein „Mille Miglia“-Auto gekostet hat? „Da hab ich keine Ahnung“, log er und beugte sich wieder über den Zwölf-Zylinder-Motor, um noch das eine oder andere Schräubchen nachzuziehen.

Bis zum Start um 20 Uhr drehte sich alles in der Stadt um die schönen, alten Karossen. Die Autos müssen nämlich, bevor sie starten dürfen, noch eine langwierige technische Prüfung überstehen. Normalerweise regnet es an diesem Tag immer. Das ist so Tradition. In diesem Jahr aber schien die Sonne, und alles war noch schöner und freundlicher als in den Jahren zuvor.

Nach zwölfstündigem Schaulaufen ging dann abends um acht endlich das Rennen los. Tausende von Menschen standen am Straßenrand und jubelten, als die blitzblank geputzten Autos auf eine Rampe fuhren und von dort aus losdüsten. Vier Tage dauert das Rennen, von Brescia runter nach Rom und dann wieder zurück in den Norden.

Früher war es ein echtes Wettrennen, doch nach einem schweren Unfall und einer längeren „Mille Miglia“-Pause ist es jetzt nur noch ein Spaßabenteuer. „Nur noch Freude und Vergnügen“, wie mir Jacky Ickx, der belgische Altmeister, beim Mittagessen erzählte. Er selbst fährt nur noch als Beifahrer mit und lässt sich vom „Chopard“-Vizepräsident Karl-Friedrich Scheufele im silberfarbenen Porsche durch Italien chauffieren. „Das ist so angenehm, dass ich eigentlich schlafen könnte auf dem Beifahrersitz“, sagt Monsieur Ickx.

Als alle 370 Autos gestartet und in der Abenddämmerung verschwunden waren, fuhren wir mit dem Bus zurück an den Gardasee. Dort aß ich um Mitternacht das leckerste Steak meines Lebens! So schön kann ein Ausflug ins süße Leben des Kapitalismus sein. CORINNA STEGEMANN