Bummeln im Fan-Park

Hamburg plüscht sich für die Weltmeisterschaft und peppt ganze Straßenzüge auf. Kunstvoll leuchten blaue Tore über der Skyline und künden von dem Großereignis. Aber am schönsten und am aufregendsten ist und bleibt es in St. Pauli

von FRITZ TIETZ

Auf den ersten Blick sind keine besonders augenfälligen Hinweise auf das Fußballweltereignis im Stadtbild Hamburgs auszumachen. Nicht mal die den Hotelturm am Dammtorbahnhof fassadenhoch bedeckenden Porträts der Nationalspieler Ballack, Schweinsteiger und Podolski hängen noch dort. Ein Markenartikler machte so neulich für sich Reklame. Vielleicht hat eine Beschwerde meines Zahnarztes, der von seiner Praxis aus ständig „auf diese Idioten“ gucken musste, dafür gesorgt, dass keine weiteren Heroenkonterfeis folgten.

Ein indirekter Fingerzeig auf Hamburgs Status als WM-Stadt immerhin sind die zahlreichen Baustellen. Am Jungfernstieg etwa muss die halbe Fahrbahn zugunsten einer ausladenden, hell gepflasterten Flaniermeile weichen. Der Alsteranleger gegenüber wird ebenso fußgängerfreundlich aufgepeppt. Eine breite Sitztreppe lädt zum entspannten Abhängen ein. Sehen und gesehen werden. Dabei den Blick über das von Schiffchen betuckerte Wasser an der hoch aufschießenden Alsterfontäne vorbei bis rüber zur Lombardsbrücke schweifen lassen.

Was aber hat eigentlich das blaue Tor da mitten auf der Binnenalster zu suchen? Wie man überhaupt im gesamten Stadtgebiet, meist auf höheren Gebäuden postiert, diese neonblauen Rahmen ausmachen kann. Schon wer über die wohl beeindruckendste Stadtanfahrtsrampe Deutschlands, also auf der den Hafen überquerenden A7 von Süden her auf die Elbmetropole zufährt, kann über der Skyline zahlreiche dieser „Blue Goals“ blitzen sehen. Wenn ich deren Erfinder richtig verstehe, sollen sie für jenes Eckige stehen, in das das Runde muss. Also für das signifikanteste Möbel der Sportart, deren Weltmeisterschaft eben auch in Hamburg stattfindet. So gesehen ist die Stadt mit WM-Signalen geradezu gespickt. Das Projekt des Lichtkünstlers Michael Batz wird allerdings erst mit Beginn des Turniers seine ganze Leuchtkraft entfalten. Dann sollen die über hundert Tore mittels grüner Laserstrahlen optisch vernetzt werden. Was auch immer uns der Künstler damit einbläuen will: Hübsch anzusehen sein wird das Spektakel allemal.

Dabei mangelt es Hamburg auch so keineswegs an hübschen Ansichten. Nicht umsonst gilt die Stadt als eine der schönsten Deutschlands. Ein Ruf allerdings, der sich vorrangig auf die bekannten Postkartenmotive an Elbe und Alster gründet. Würde man sein Hamburg-Sightseeing auf so öde Stadtteile wie Rahlstedt, Schnelsen oder Harburg ausweiten, müsste man das mit der Schönheit deutlich relativieren. Auch die Gegend um das WM-Stadion in Stellingen gehört eher in die Attraktivitätskategorie „Bloß schnell weg hier“. Nur: Wer Tickets hat für eins der fünf in Hamburg ausgetragenen WM-Spiele, muss da leider durch.

Echte weltmeisterliche Atmosphäre wird man während des Turniers ohnehin nur im fußball- und auch sonst ziemlich verrückten St. Pauli zu spüren bekommen. Dem einzig wirklich urbanen Quartier Hamburgs. So sehen das jedenfalls viele seiner Bewohner. Und nicht nur die. An Wochenenden strömt mitunter eine Hunderttausendschaft auswärtiger Besucher hierher. Während der WM wird solch ein Andrang „auf den Kiez“ nahezu täglich erfolgen, an Deutschland-Spieltagen können es sogar noch ein paar mehr werden. Der Grund ist das offizielle Fanfest Hamburgs in St. Pauli: Auf dem geräumigen Heiligengeistfeld, der Heimstatt der dreimal jährlich hier stattfindenden Großkirmes „Dom“, wird es am 9. Juni eröffnet.

Auf einer Videogroßleinwand können dann jeweils 50.000 Menschen 56 Turnierspiele live und gratis verfolgen. Dank einer eigens errichteten Zuschauerkurve rechnet man sogar mit einer Art Stadionstimmung. Neben dem Vorführareal laden der so genannte Fan-Park und ein „Boulevard der Nationen“ dazu ein, sich allerhand Kulturelles und Kulinarisches aus den 32 WM-Teilnehmerländern einzuverleiben; „zu volkstümlichen Preisen“, wie die Veranstalter versprechen. Ein halber Liter Bier soll allerdings ziemlich volksfeindliche 3,50 Euro kosten.

Auch die meisten Lokale zeigen auf ihren TV-Geräten die Übertragung der Spiele. In der urigen Domschenke etwa an der Budapester Straße, wo man für 2,80 Euro ein Alsterwasser hingestellt bekommt, wie es so vollendet selbst in Hamburg nur noch selten zubereitet wird. Hier beachtet man nicht nur penibelst das korrekte Mischverhältnis zwischen Limo und Astra, der für Alsterwasser einzig zulässigen Biersorte. Hier hat das Hamburger Spezialgetränk auch immer das korrekte Schaumaufkommen.

Ein Muss für viele auswärtige Freunde des Fußballsports dürfte auch ein Abstecher ins Vereinsheim des legendären FC St. Pauli sein, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Heiligengeistfeld auf dem Gelände des Millerntorstadions befindet. Auch hier kann man zum gepflegten Bier die Spiele auf einer Leinwand gucken und sich dabei mit den einheimischen Fußballbekloppten auf mehr oder weniger fundierte Fachgespräche einlassen. Wobei man aber eines unbedingt beachten sollte: Nie „Pauli“ sagen, wenn man den FC St. Pauli meint. „Pauli“ sagen in St. Pauli nur die Doofen.

Nachts dürfte sich das WM-Partygeschehen in die gerade mal zwei Torwartabstöße entfernt liegende Reeperbahn verlagern. Verdursten muss hier keiner. Die Kneipendichte ist immens. Und auch Liveclubs und Tanzböden gibt’s in St. Pauli an jeder Ecke. Und was die Bedürfnisse eher triebhafter Natur betrifft: Die Dienstleisterinnen, die schon für 30 Euro entsprechende Handreichungen anbieten, sind kaum zu verfehlen. Wobei das häufig nur der Einstiegspreis ist. Die Damen verstehen es geschickt, ihre Gage noch während der Verrichtung in die Höhe zu treiben. Nicht wenige Trottel, die ihnen am Ende sogar ihre EC-Karte nebst Geheimnummer überlassen, nur um sich endlich ins vermeintliche Paradies vögeln zu können. Ich selbst habe neulich so einen Einfaltspinsel morgens um vier seine Ehefrau anrufen hören, sie dringend bittend, sofort das Konto sperren zu lassen. Er habe gerade seine Karte „verloren“. Auch sollte jedem klar sein, dass im hanseatischen Fickgewerbe oft brutaler Zwang mit im Spiel ist. Gerade während der WM wird es jede Menge Frauen in Hamburg geben, die alles andere als freiwillig anschaffen.

Statt seine Energien an die Huren zu vergeuden, sollte man sie lieber zur weiteren Erkundung Hamburgs nutzen. Den Spaziergang etwa von den Landungsbrücken über den Hafenrand bis zum Strand von Övelgönne darf keiner auslassen, der hinterher behaupten will, er sei in Hamburg gewesen. Eine Elbkreuzfahrt rüber nach Finkenwerder gehört ebenfalls zum Pflichtprogramm. Desgleichen eine Barkassenrundfahrt durch die Speicherstadt, die Besichtigung der recht futuristisch sich entwickelnden Hafen-City sowie der Gang durch den Alten Elbtunnel. Aufschlussreich kann auch ein Ausflug nach Blankenese sein, diesem ehemaligen Fischerdörfchen und jetzigen Ghetto für die Parallelgesellschaft der oberen Zehntausend. Zu empfehlen ist auch eine Radtour durch den Hamburger Hafen, allerdings nur an den Wochenenden, wenn der Schwerlastverkehr ruht. Die Verfransungsgefahr in dem weitläufigen Hafengebiet ist jedoch nicht gerade gering, weshalb man sich einen guten Straßenplan in die Satteltasche packen sollte. Schließlich will man spätestens zum nächsten Spiel wieder in St. Pauli sein.