Wer Glück hat, dem hilft die Nachbarschaft

FREIWILLIGE In Hamburg-Lokstedt überbietet sich die Nachbarschaft beinahe darin, den Flüchtlingen zu helfen, die in Containern auf einem Parkplatz neben dem Tierpark wohnen. Anderswo werden Unterstützer dringend gesucht

VON LENA KAISER
UND ANDREA SCHARPEN

Nur noch ein Lied: „Alle Leut’, alle Leut’, gehen nach Haus“, singen die Kinder. Bevor Amrita und die anderen den Spielcontainer der Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Eimsbüttel verlassen, sammeln sie noch die Buntstifte und Malbücher vom Boden auf, stellen sie zurück ins Regal. Wer mithilft, bekommt beim Rausgehen noch einen Apfel und einen Schokoriegel in die Hand gedrückt.

Von dem umgewidmeten Park & Ride-Parkplatz aus sieht man die Gleise neben dem U-Bahnhof Tierpark Hagenbeck. Seit September sind hier bis zu 200 Flüchtlinge in Containern untergebracht. Auf 15 Quadratmetern leben ganze Familien. Die Container sind spärlich ausgestattet, einen eigenen Kochplatz, ein Waschbecken oder eine Toilette gibt es nicht.

Ein bisschen wohnlicher ist es im Spielcontainer. Den öffnen an vier Tagen in der Woche ehrenamtliche Helfer wie Liza-Melina Stamos. Die Namen der 50 Mädchen und Jungen aus Afghanistan, dem Iran, dem Irak, Syrien und Tschetschenien hat sich Stamos noch nicht alle merken können, deshalb macht sie sich nun kleine Steckbriefe.

Seit ein paar Wochen kümmert sich Stamos, Zoo-Pädagogin im benachbarten Tierpark Hagenbeck, mit einigen Freunden um die Kinderbetreuung im Containercamp. Auf Facebook hatte sie von der ehrenamtlichen Arbeit der Helfer dort erfahren, jetzt schenkt sie den Flüchtlingskindern jeden Donnerstag ihre Zeit, wie sie es ausdrückt. Seit sie Mitte November mit den Flüchtlingen den Tierpark besuchte, ist sie bei den Kindern besonders beliebt.

Um die freiwillige Hilfe besser koordinieren zu können, hat die Autorin und ehemalige Brigitte-Kolumnistin Julia Karnick die Facebook-Gruppe „Herzliches Hamburg“ gegründet. Dort dreht sich alles um praktische Dinge: Wo werden die gespendeten Weihnachtsgeschenke aufbewahrt? Wer ist wann im Spielcontainer? Und haben schon alle daran gedacht, das erweiterte Führungszeugnis vorzulegen?

In Hamburg arbeiten etwa 360 ehrenamtliche Helfer für das städtische Unternehmen Fördern und Wohnen, das die Unterkünfte betreibt. Meistens sind es Anwohner, die sich um Flüchtlinge kümmern – vor allem Frauen, viele davon sind Rentner oder arbeitslos. Jüngere Berufstätige engagieren sich am Wochenende oder in den Abendstunden.

Doch nirgendwo in Hamburg sind die Leute so hilfsbereit wie in Lokstedt. Anfangs gab es noch einige Bedenken, als auf dem Parkplatz an der Lokstedter Höhe ein neues Containercamp eingerichtet wurde. Dann aber bildete sich schnell ein großer Unterstützerkreis – mehr als 40 ehrenamtliche Helfer kümmern sich mittlerweile um die Kinderbetreuung, die Kleiderkammer und die Spenden, die die Leute aus dem Stadtteil vorbeibringen. Sie geben Sprachunterricht und helfen bei den Hausaufgaben.

Seit einigen Wochen berichten lokale Medien über die vorbildliche Unterkunft. Unterstützer wie Stamos und Karnick nehmen sich Zeit für Interviews, weil sie hoffen, dass ihr Beispiel auf andere Unterkünfte ausstrahlt.

Wo die Nachbarn fehlen

Doch längst nicht in allen Einrichtungen in Hamburg ist das Interesse daran, Flüchtlingen zu helfen, so groß wie in Lokstedt. Die Unterkunft an der Schnackenburgallee im Bezirk Altona, eine Zweigstelle der Zentralen Erstaufnahme, liegt in einem Industriegebiet nahe der A 7. Schon von Weitem sind die in drei Etagen aufeinander gestapelten Container zu sehen. Im Moment wohnen hier 503 Menschen, für bis zu 688 ist Platz. In unmittelbarer Nachbarschaft wohnt hier niemand.

Auf ihrer Facebook-Seite appelliert die Lokstedter-Unterstützergruppe an Freiwillige, auch in der Unterkunft in der Schnackenburgallee zu helfen, um die Situation dort „menschenwürdiger zu machen“. Zwar gibt es Ehrenamtliche, die in der Unterkunft Kleiderspenden verteilen, aber das reicht nicht: „Ich brauche dringend einen Kinderwagen“, sagt Bewohnerin Ilmije Hasani aus Montenegro. Der Weg bis zur Bushaltestelle sei zu weit, um ihre kleine Tochter zu tragen. Deshalb bleibt sie oft einfach in ihrem Container.

Die Bewohner sagen, dass es in der Schnackenburgallee vor allem für die Kinder ziemlich langweilig sei. „Hier ist jeder Tag gleich“, sagt der dreifache Vater Gülrdjan Ibrahimov. Auf einem gepflasterten Platz vor den Container bolzen einige Jungen, dick eingepackt wegen der Kälte. Einmal in der Woche schickt die Stadt Hamburg ein Spielmobil vorbei, aber ein Kinderprogramm wie in der Lokstedter Unterkunft gibt es nicht. Nicht einmal einen Aufenthaltsraum oder eine Spielecke. Ibrahimov zeigt auf einen kleinen Raum, in dem Waschmaschinen stehen. Davor liegen eine Wolldecke und einige Kuscheltiere. „Damit die Kleinen auch mal im Warmen spielen können.“

Noch wichtiger wäre Ibrahimov ein Sprachunterricht für seine Kinder. „Ich möchte, dass sie Deutsch lernen, dann finden sie hier auch Freunde“, sagt er.

Nach Angaben des städtischen Wohnheimbetreibers Fördern und Wohnen plant das Deutsche Rote Kreuz, vormittags eine offene Kinderbetreuung anzubieten. Das wäre dann wenigstens ein Anfang.