LESERINNENBRIEFE
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Die Rettung „entarteter Kunst“

■ betr.: „Kunstraub und Kunstdienst“, taz vom 27. 11. 13

Man wird Hildebrand Gurlitt nicht gerecht, wenn man ihn aufgrund des mysteriösen Fundes zum fanatischen Kunstjäger und Räuber für die Nazis hochstilisiert. Gurlitt war zuerst einmal ein großer Freund und Förderer der modernen Kunst in Deutschland. Er hat dafür bei den Nazis einige Nachteile erleiden müssen. Kunsthändler ist er nach 1933 aus der Not heraus geworden, da ihm keine andere Erwerbsmöglichkeit offen stand. Dass er als Kunsthändler schon vor 1937 einen großen Bestand an Werken moderner Kunst besessen hat, ist belegt – möglicherweise auch von jüdischen Vorbesitzern, die, da sie Deutschland verlassen mussten, dringend ihre Kunstwerke verkaufen mussten. Wenn es denn so war, so waren viele dankbar, dass es überhaupt jemand gab, der Kunst erwarb, die in Deutschland nicht mehr geduldet war.

Peggy Guggenheim hat in Paris vor dem Einmarsch der Deutschen von fliehenden jüdischen Kunstbesitzern massenhaft moderne Kunstwerke erworben. Sie wollte jeden Tag ein Gemälde kaufen, konnte sich binnen kurzer Zeit aber nicht mehr vor Angeboten retten – sie hat die Not ausgenützt, aber auch geholfen. Vieles hängt heute in Venedig – ich habe noch nicht gehört, dass sich jemand hierüber aufgeregt hätte.

Was eventuell Käufe bei den „Judenauktionen“ betrifft, so ist doch nicht den Käufern von moderner, angeblich entarteter Kunst der Vorwurf zu machen, sondern denen, die die Kunstwerke widerrechtlich bei Räumungen gestohlen haben. Dasselbe gilt für die Kunstwerke, die Gurlitt und seine Kollegen aus dem Bestand der konfiszierten Kunst zum Verkauf sichern konnten. Jede Arbeit, die nicht verkauft werden konnte, wäre – wie auch geschehen – verbrannt worden. Alle vier Händler erhielten Arbeiten zum gezielten Verkauf und mussten sie abrechnen, aber sie erhielten auch schwer verkaufbare „Ware“ in Kommission. Mithilfe des Verwalters dieses Bestandes, Dr. Hetsch, erhielten sie bewusst mehr, als realistisch verkauft werden konnte. Es ging Hetsch wie den vier Händlern darum, möglichst viel aus den bedrohten Beständen sicherzustellen.

Das Chaos bei Kriegsende war derart, dass eine Rückgabe der Kommissionsware nicht möglich war. Das große Konvolut im Besitz des Kunsthändlers Böhmer, der sich beim Einmarsch der Russen umbrachte, geisterte eine Zeit lang durch Güstrow und Umgegend, bis sich dann organisierende staatliche Stellen des Konvolutes annahmen und es sicherstellten. Es befindet sich heute im Kulturhistorischen Museum in Rostock und besteht ausschließlich aus Arbeiten, die in deutschen Museen eingezogen wurden.

Karl Buchholz hatte kurz nach 1933 eine Niederlassung in New York gegründet. So gelang es ihm, Devisen für gefragte moderne Kunst zu beschaffen und diese auch auszuführen – die Buchholz Gallery in New York hat noch lange Jahre nach 1945 bedeutende Arbeiten der deutschen Moderne angeboten – niemand nahm Anstoß daran, woher diese Werke wohl stammen könnten. Ferdinand Möller hat bei Kriegsende seine eigenen Bestände sowie die Bestände aus der Aktion „entartete Kunst“ von Berlin nach Zermützel bei Berlin verbracht und sie von dort nach Köln gerettet, wo sie ihm bei Aufbau seiner neuen Galerie hilfreich waren. Ich denke, man kann die Person Gurlitt nicht isoliert betrachten. DIRK H. BRAUN, Tangstedt

Die Bahn hätte es wissen können

■ betr.: „Bahn will bei Stuttgart 21 pünktlich sein“, taz vom 25. 11. 13

Natürlich hätte auch die Bahn lange vor dem Volksentscheid wissen müssen, dass die Kosten viel höher werden als die behaupteten 4,5 Milliarden, wenn die Bahn die Berechnungen des Bundesrechnungshofs im Jahr 2008 ernst genommen hätte. Dort heißt es:

„Der Bundesrechnungshof ist der Auffassung, dass das Projekt nicht erschöpfend dargestellt ist. […] Es fehlen die Kosten für den Flughafenbahnhof, den anschließenden Tunnel, die Plochinger Kurve und die Abstellanlagen. Der Bundesrechnungshof weist ferner darauf hin, dass das Bundesministerium die Kosten für das Projekt nicht mit einem aktuellen Preisstand angibt. Darüber hinaus setzt es die eigenen Erkenntnisse aus der Realisierung von Großprojekten nicht um. Die vom Bundesministerium selbst benannten Risikofaktoren – ‚hoher Tunnelanteil‘ (50 Prozent) und ‚hoher Kupfer- und Stahlanteil‘ – treffen für das Projekt Stuttgart 21 in hohem Maße zu. Aus den Erkenntnissen des Bundesministeriums errechnen sich dann Projektkosten von 4.925 Millionen Euro (3.078 Millionen Euro + 60 Prozent). Zusätzlich müsste das Bundesministerium die o. g. Kosten für bisher nicht erfasste Leistungen […] mit aktuellem Preisstand berücksichtigen. Damit lägen die Kosten dieses Projektes deutlich über 5.300 Millionen Euro. [Laut] Bundesministerium sind davon nur 2.800 Millionen Euro zuzüglich der Risikoabsicherung von weiteren 1.320 Mio Euro abgedeckt.“ MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Die „männliche Lust“

■ betr.: „Der unsichtbare Freier“, taz vom 28. 11. 2013

Hatte ich geglaubt, nun endlich werde das fehlende Glied in der Argumentationskette zum Thema Prostitution – der Freier – näher beleuchtet, so kam wieder nur Altbekanntes, darunter unkommentiert der Schwachsinn, es gehe bei der Ablehnung von Prostitution darum, „eine sexfeindliche Kultur zu zementieren“ und um „gesellschaftlichen Schein von Anständigkeit und Moral“. Wo sind wir denn – im vorletzten Jahrhundert? Ist es tatsächlich so schwer herauszufinden, was Männer in der heutigen Zeit, in der es für sie vermutlich mehr Möglichkeiten denn je gibt, jenseits von Prostitution Sex zu haben, in die Bordelle treibt? Geht es um „die männliche Lust“ und/oder um Dominanz, um die alte Ordnung, die den „Weibern“ ihren Platz zuweist? BRIGITTE REINHARDT Bad Honnef