: Zum Probieren
SPONTANER SPIELPLAN Das Ballhaus Ost zeigt Theaterproduktionen, die noch nicht ganz reif sind. „Axel hol den Rotkohl“ ist so eine
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
„Mama?“, ruft der kleine Fisch, und noch einmal: „Mama!?“ Befinde ich mich im Kindertheater, in einer wüst zerknautschten Schaumstoffpuppenfassung von „Little Nemo“? Nein, „Axel hol den Rotkohl“ heißt das Stück, und wen dies an „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegemann erinnert, liegt richtig. So wie aus dem Titel durch kleine Lautverschiebung etwas anderes wird, wird aus Hegemanns Geschichte durch die Bearbeitung der Theatertruppe „Das Helmi“ eine 1-a-Pubertätsstory. 1 a schon deshalb, weil schon in jeder der Puppen, die „Das Helmi“ aus ein wenig Lumpen, Müll und Schaumstoff lose zusammentackert, eine starke Selbstermächtigungsfantasie steckt: Ich bin jetzt mal der und der und haue hier ordentlich auf die Kacke. Spieler und Puppen gleichen einer Versammlung von Freunden, die das schwer an ihrer Identität herumbastelnde Mädchen bei seinen wüsten Abenteuern begleitet.
„Axel hol den Rotkohl“ läuft im Ballhaus Ost und ist gut besucht. Hätte die Produktion erst eine langfristige Spielplangestaltung und eine noch länger dauernde Antragsphase für Projektgelder durchlaufen müssen, dann hätte man so im November 2011 mit dem Stück rechnen können. Aber glücklicherweise läuft Spielplangestaltung im Ballhaus Ost spontaner, und nicht zuletzt dafür erhält das Haus Spielstättenförderung von 130.000 Euro im Jahr für 2011 und 2012, so lautet die Empfehlung der vom Senat eingesetzten Jury.
Es bleibt prekär
Amely v. Kapff und Daniel Schrader, die beiden künstlerischen Leiter, wissen das sei Montag und sind erleichtert. Denn das bedeutet, dass sie weitermanchen können, mit Gruppen wie Das Helmi, oder Lubricat, die eigene Projektmittel mitbringen, sich an internationalen Festivals wie „No Limits“ für Theaterformen, die mit gehandicapten Schauspielern arbeiten, beteiligen, und sie können ihre Räume im Haus weiteren Künstlern und Gruppen, die unbekannt sind und keine Aussicht auf Projektgelder haben, für die Probenarbeit zur Verfügung stellen. „Dafür erhalten wir das Geld“, sagt Amely v. Kapff, „für das Ausprobieren. Wenn eine Gruppe Projektgelder beantragen will, muss sie Aufführungen vorweisen können, und wir sind einer der wenigen Orte, an denen das geht.“
Doch allein die Miete für das mehrstöckige Hinterhaus und den alten Ballsaal beträgt 170.000 Euro. Die Situation bleibt also trotzdem äußerst prekär. Sowenig wie den Künstlern hier ein Honorar sicher ist, so wenig ist es dem sechsköpfigen Team aus zwei künstlerischen Leitern, drei Frauen im Betriebsbüro und einem Techniker sicher. Nur zwei Stellen werden zeitweise über Fördertöpfe finanziert. Zudem gibt es Schulden, aus den ersten Jahren, als das Ballhaus einfach mal zu arbeiten anfing, im Februar 2006.
Inzwischen haben die Geschäftsführung und die künstlerische Leitung gewechselt. Daniel Schrader und Amely v. Kapff dachten sich zur Verbesserung der Einnahmenseite ein neues Charityformat aus, „Save our Ship“. Befreundete Künstler schenken als Zeichen der Solidarität eine Performance her: Den Anfang machten im Mai Dirk von Lotzow und René Pollesch.
Diese Woche wimmelt es im Haus von Menschen, im Treppenhaus werden Möbel geschleppt, ein Kohlgarten entsteht im Hof, eine Sauna im Keller und Podeste mit kleinen Wohninseln aus durchgesessenen Sofas und gruseligen Teppichmustern bringen einen überall ins Stolpern. Ist das hier nur abgestellt, oder schon Bühnenbild? Seit zwei Wochen gehe das schon so, erzählt Amely v. Kapff, und ob die Künstler, die gelegentlich in osteuropäischen Operettenuniformen auftauchen, gerade Pause machen oder proben, ist für sie nicht mehr zu erkennen.
Fiktives Osteuropa
Vorbereitet wird „Kommunalka“, ein vom Dach bis in den Keller spielendes Spektakel, eine fiktive Osteuropa-WG. Ralf Grunwald und Jürgen Schultz haben dafür ein Jahr lang recherchiert und Interviews mit in Berlin lebenden Osteuropäern gesammelt, die nun in Zimmern wie dem Salon der polnischen Literaten, dem Raum des bulgarischen Opernsängers, rund um den Wodkabrunnen oder in der Kellersauna in Performances übersetzt werden. Für so ein Projekt ist das vielzimmrige Haus ideal.
Seit das Ballhaus Ost vor vier Jahren in der Pappelallee eröffnete, sind viele prominente Schauspieler hier aufgetreten, wie Anne Tismer, Niels Bormann, Alexander Scheer, Nicolette Krebitz. Dass sie sich dabei oft in die Hände von unerfahrenen Regisseuren begaben, ließ die Kritik oft etwas ratlos. Dabei ist das Ausprobieren auch eine Aufgabe des Hauses. Daniel Schrader, der an der Volksbühne als Regieassistent von Christoph Marthaler und Jonathan Meese gearbeitet hat, kann deshalb hier zusammen mit der Performerin Tina Pfurr nach einer reflexiven und solistischen Form suchen. Und das Format „Tanzbad“ öffnet sich neuen Gesichtern aus der Tanzszene: Da kann man vorher eben nicht wissen, was passiert.
■ „Kommunalka“, 3.–5. Juni
■ „Tanzbad“, 11. + 12. Juni
■ „Axel hol den Rotkohl“, 19. + 20. Juni
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