DOMINIC JOHNSON ÜBER FLÜCHTLINGE, DIE WM UND DIE WAHRNEHMUNG AFRIKAS
: Somalia? Nie gehört!

Der Konsens der neuen Afrika-Umarmer lautet: Da unten ist es ja gar nicht so schlimm!

Afrika liegt im Trend. Der Countdown zur Fußball-WM läuft, Fernsehsender überbieten einander mit Sonderprogrammen. Es ist da unten ja gar nicht so schlimm, lautet der Konsens der Afrika-Entdecker: Südafrika hat das doch fein hingekriegt, in anderen Ländern gibt es auch viele positive Dinge, und überhaupt ist es Zeit, den Nachbarkontinent zu umarmen.

Aber wenn es um real existierende Afrikaner geht, ist es mit der Offenheit schnell vorbei. Somalische Bürgerkriegsflüchtlinge bleiben auf sich allein gestellt, wenn sie aus ihrem zerrissenen und umkämpften Land fliehen und woanders Schutz suchen: Sie ertrinken im Golf von Aden, werden von der UNO in Kenia abgewiesen oder bleiben am Eisernen Vorhang Europas hängen.

Von rund 10 Millionen Einwohnern Somalias haben knapp zwei Millionen Rettung im Ausland gesucht oder sind Binnenflüchtlinge. 2008 lag Somalia auf der Liste der Herkunftsländer von Asylbewerbern in Industriestaaten an zweiter, 2009 an dritter Stelle. Asyl finden die wenigsten. Und was tut Deutschland? Vor Somalias Küste kreuzt die Bundesmarine, um Piraten abzufangen; die Bundeswehr beginnt in diesen Wochen mit der Ausbildung somalischer Soldaten; eine deutsche Söldnerfirma vehandelt mit einem somalischen Politiker über den Aufbau einer Privatarmee. Gestritten wird über diese absurde Politik in Deutschland aber nicht, anders als über Afghanistan, denn es kommen dabei keine Deutschen um. Somalia? Nie gehört!

„Afrika“ ist in diesen Tagen ein reines Medienklischee, das mit der Wirklichkeit möglichst wenig zu tun haben will. Der Kontinent wird als Konsumobjekt missbraucht. Man kann jetzt zur Primetime Filme über Apartheid, Aids oder Völkermord sehen. Aber wenn Afrikaner auf ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben pochen, werden sie ignoriert, und falls nach der Fußball-WM irgendwo ein Genozid drohen sollte, wird es heißen: Afrika? Hatten wir doch gerade.

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