Der Präsident der Anderen

MAURICIO FUNES Armeeeinsätze im Innern, Unterstützung der Putschisten in Honduras – der FMLN-Präsident düpiert seine Unterstützer

■  1970: Als Reaktion auf die blutige Verfolgung von Landarbeiterorganisationen durch die Armee entstehen in El Salvador erste, noch kleine Guerilla-Gruppen.

■  1979/80: Nach der Etablierung einer Militärjunta und dem Mord an dem sozialkritischen Erzbischof Oscar Arnulfo Romero schließen sich die inzwischen fünf Guerilla-Organisationen zur Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) zusammen, die sich nach einem Bauernführer der Dreißigerjahre benennt. Ein zwölfjähriger Bürgerkrieg beginnt, der insgesamt 80.000 Tote fordert.

■  1981: Die Regierungen Frankreichs (unter François Mitterrand) und Mexikos erkennen die FMLN als repräsentative Kraft an.

■  1992: Der Bürgerkrieg endet ohne Sieger. Ein Friedensvertrag entzieht den Militärs die politische Macht. Die FMLN wird zur politischen Partei. Bei den Präsidentschaftswahlen von 1994, 1999 und 2004 unterliegt sie mit dezidiert linken Kandidaten, unter anderem Schafik Jorge Handal, dem langjährigen Anführer der FMLN, der ultrarechten Arena-Partei.

■  2009: Mit dem ehemaligen Starjournalisten Mauricio Funes als Kandidaten kommt die FMLN an die Macht. Er war erst zur Wahl in die Partei eingetreten. (kep)

AUS SAN SALVADOR CECIBEL ROMERO

Seit gut einem Jahr ist Mauricio Funes Präsident von El Salvador. Aber wenn jemand einen Grund dazu hat, den Jahrestag der ersten linken Regierung in der Geschichte des Landes zu feiern, dann ist es nicht die FMLN. Die Partei der ehemaligen Guerilla hatte den populären, aber zuvor parteilosen Journalisten Funes bei der Präsidentschaftswahl im März 2009 nominiert. Grund zum Feiern aber hat der ehemalige Kriegsgegner, die Armee.

Nach zwanzig Jahren ultrarechter Regierungen und dem Wahlversprechen eines grundlegenden Wandels waren die Salvadorianer gespannt, wie die Linke die Dauerprobleme des Landes angehen würde – allen voran die Kriminalität. Mit 71 Morden auf 100.000 Einwohner im Jahr ist El Salvador das gewalttätigste Land Lateinamerikas. Funes ging das Problem auf brachiale Weise an: Wie zuvor nur konservative Regierungen in Lateinamerika ließ er die Armee gegen kriminelle Jugendbanden und das organisierte Verbrechen vorgehen – wenngleich der Erfolg ebenso ausblieb wie etwa in Mexiko.

„Ich bin davon überzeugt, dass der salvadorianische Soldat die Fähigkeiten und die Hingabe besitzt, die nötig sind, um die Unsicherheit in unserem Land zu überwinden“, sagt Funes. Für einen FMLN-Politiker ein unglaublicher Satz, steht doch die Armee in ungebrochener Kontinuität zu den Putschisten der Achtzigerjahre und hatte die Guerilla bei den Friedensverhandlungen hart darum gerungen, per Verfassungsgebot die Armee aus polizeilichen Aufgaben auszuschließen und stattdessen eine zivile Polizei aufzubauen.

Im November vergangenen Jahres holte Funes zunächst 4.000 Soldaten für Patrouillen auf die Straße. Anfang Mai wurde ihre Zahl auf 7.500 erhöht. Die Militärs dürfen nun weitaus mehr, als potenzielle Kriminelle mit ihren Kriegswaffen zu erschrecken. Sie dürfen Personen kontrollieren, durchsuchen und festnehmen. Zudem haben sie das Kommando in den Gefängnissen des Landes übernommen. Genauso irritierend: Als Oppositionspartei hatte die FMLN stets den hohen Etat des Verteidigungsministeriums kritisiert, auf Funes’ Wunsch aber wurde der Verteidigungshaushalt um 10 Millionen Dollar erhöht.

„Wer die Kriminalität bekämpfen will, muss ermitteln können“, sagt José María Tojeira, der Rektor der Zentralamerikanischen Universität. „Der militärische Aufklärungsdienst aber konnte noch nie durch Qualität oder Effizienz überzeugen.“ Im November 1989 hatte die inzwischen aufgelöste Eliteeinheit Atlacatl die gesamte Führungsriege seiner Universität massakriert. In den Neunzigerjahren war Tojeira dafür zuständig, Prozesse gegen die verantwortlichen Militärs vorzubereiten, was letztlich an einer Generalamnestie scheiterte.

Zum zwanzigsten Jahrestag des Massakers ehrte Funes zwar die Angehörigen der Ermordeten. Aber er ist taub gegenüber ihrer Forderung, das Amnestiegesetz aufzuheben. Er bleibt beim Argument seiner rechten Amtsvorgänger: Man solle alte Wunden nicht wieder aufreißen.

Auch außenpolitisch setzte Funes mitunter überraschende Akzente. Zwar nahm er bald nach seinem Amtsantritt am 1. Juni als Letzter in Zentralamerika diplomatische Beziehungen mit Kuba auf. Aber zugleich unterstützte er die US-Außenpolitik in Lateinamerika, sogar in einer sensiblen Angelegenheit wie dem Militärputsch gegen den honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya.

Seit dem Staatsstreich am 28. Juni vorigen Jahres ist Honduras international isoliert. Funes aber verfolgt auf Bitte des US-Präsidenten Barack Obama eine Politik des Vergebens und Vergessens. „Es ist mir ein persönliches Anliegen, Honduras bei der Rückkehr in die internationalen Gremien zu helfen“, sagte er Mitte Mai bei einem Gipfeltreffen zwischen Lateinamerika und der Europäischen Union in Madrid. Der bei einer von den Militärs kontrollierten Wahl gekürte neue Präsident Porfirio Lobo unternehme „große und unterstützenswerte Anstrengungen, zur Verfasstheit des Landes zurückzukehren“. Menschenrechtsorganisationen sehen das anders.

Die Basis der FMLN murrt inzwischen deutlich vernehmbar. In der Führungsriege spricht man lieber von einer „schlechten Kommunikation“ zwischen Präsident und Partei. Zum Teil mag dies daran liegen, dass ehemalige Guerilla-Kommandanten heute Ministerämter bekleiden und sich erst in dieser Rolle zurechtfinden müssen. Zum anderen wissen sie, dass sie ohne die Person Funes die Wahl nicht gewonnen hätten und ein offener Bruch für sie nicht eben förderlich wäre.

Am deutlichsten wird die schlechte Stimmung im Parlament. Dort hat die FMLN-Fraktion schon etliche Projekte des Präsidenten auflaufen lassen, indem sie gegen neue Kredite stimmte. Statt Schulden zu machen, solle man lieber korrupte Funktionäre früherer Regierungen vor Gericht stellen und zur Kasse bitten – ein Wahlversprechen des heutigen Präsidenten. Doch der will sich daran nicht erinnern: „Ich habe kein Interesse daran, die Korrupten früherer Regierungen zu verfolgen.“

„Wie kann es sein, dass sich der Präsident mit der Rechten besser versteht als mit seiner eigenen Partei?

SIGFRIDO REYES, FMLN

Stattdessen sucht er die Nähe zu seinem rechten Amtsvorgänger Antonio Saca, dem heute selbst die rechte Arena-Partei Korruption in großem Stil unterstellt. Saca wurde von der Parteispitze für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht und aus Arena ausgeschlossen. Inzwischen hat er seine eigene Partei mit dem Namen Gana gegründet und 14 der 32 Parlamentsabgeordneten von Arena abgeworben. Auf diese und andere kleine Rechtsparteien stützt sich Funes, wenn die FMLN nicht mitspielen will. Die eigentliche Regierungspartei kommt sich bisweilen vor wie in der Opposition.

Gewerkschaften, Umweltschützer und soziale Bewegungen gehen inzwischen gegen ihren einstigen Hoffnungsträger auf die Straße, werfen Funes Verrat vor und beschimpfen ihn als „Marionette der Privatwirtschaft“. Tatsächlich weicht der Präsident immer zurück, wenn es Druck von Unternehmern gibt. Ein von der FMLN im Parlament durchgesetztes Gesetz zur Senkung der Telefonkosten unterschrieb er nach einer Intervention des größten Anbieters nicht. Eine groß angekündigte Steuerreform wurde letztlich auf die Anhebung von Alkohol-, Tabak-, Waffen- und Luxuswagensteuern reduziert. An die Anhebung der Einkommensteuer für Besserverdienende traut sich Funes erst gar nicht heran.

Am Anfang seiner Präsidentschaft war er der beliebteste Präsident Lateinamerikas und sackte bei Umfragen über 80 Prozent Zustimmung ein. Inzwischen hat er ein Viertel seiner ursprünglichen Unterstützer verloren. Um seine Beliebtheit zu erhalten, greift er zuweilen zu populistischen Tricks, die schon seine rechten Vorgänger angewendet hatten: kleine Geldgeschenke für arme Familien und Schuluniformen gratis für zwei Millionen Kinder. Sein parteiloser Agrarminister trat zurück, weil staatliche Saatguthilfe auf Druck zweier rechter Parteien nicht vom Ministerium, sondern von diesen Parteien an die Bauern verteilt wird. Mit solchen Scharaden hatte schon Arena Stimmen bei der Landbevölkerung gekauft.

Nur in seinen wenigen öffentlichen Reden ist Funes weiterhin so kritisch, wie er es einst als Starjournalist im Fernsehen war. Er zitiert gern den ermordeten Bischof Oscar Arnulfo Romero, der 1980 von einer rechten Todesschwadron ermordet worden war und bis heute so etwas wie das moralische Gewissen El Salvadors ist. In der Praxis paktiert der Präsident dann aber doch lieber mit den Freunden seiner Mörder. FMLN-Sprecher Sigfrido Reyes will deshalb zum Jahrestag nicht von einer FMLN-Regierung sprechen. „Das wäre übertrieben“, sagt er. „Es ist eine Regierung, an der die FMLN beteiligt ist.“ Und er fragt irritiert: „Wie kann es sein, dass sich der Präsident mit der politischen Rechten besser versteht als mit seiner eigenen Partei?“ Oder anders gesagt: „Wie kann er mit seinen Freunden gewinnen und nachher mit dem politischen Gegner regieren?“