Ortstermin: die SPD-Regionalkonferenz in Rendsburg soll die Basis überzeugen
: Das kleinere Übel

„Schwammig, schwammig“, murmelt ein Genosse in den hinteren Reihen

Die Basis wirkt mürrisch, aber immerhin bereit zuzuhören: „Die müssen schon gute Argumente haben“, sagt der weißbärtige Mann, der im „Hohen Arsenal“ in Rendsburg weit hinten sitzt. Er sei gegen die große Koalition seiner SPD mit der CDU, „aber ich will denen eine Chance geben“. „Die“ sind die Spitzengenossen, die bundesweit für den Koalitionsvertrag trommeln.

Zu dieser ersten Regionalkonferenz in Schleswig-Holstein ist Landesprominenz angereist: Ministerpräsident Torsten Albig, Landesparteichef Ralf Stegner, der Bundestagsabgeordnete Sönke Rix und die Landtagsabgeordnete Serpil Midyatli auf dem Podium, weitere sitzen im Saal. Karsten Kock, Moderator beim Radiosender RSH, beginnt mit einer Drohung: Sechs Stunden Programm seien vorbereitet, drei für die Rede des Landesvorsitzenden. „Wer dann noch mit Nein stimmt, hat selbst schuld“, ruft Kock, und 350 SPD-Mitglieder stöhnen pflichtschuldig.

Der Raum ist voll: Sogar auf den Fensterbänken sitzen Genossen, die wissen wollen, wie ihre Spitzen die künftige Koalition schönreden. Nicht alle finden das gut: „Was für eine Farce!“, zischt ein Mann und geht verärgert, während Stegner, Albig und Midyatli erklären, wie gut der Vertrag mit der CDU sei. Sicher, „wir haben unser Wahlprogramm nicht eins zu eins umgesetzt“, sagt Stegner. „Aber das haben wir nicht mal mit absoluter Mehrheit geschafft.“ Der Vertrag trage eine sozialdemokratische Handschrift, beteuert Stegner und zählt die Punkte auf, die Liste ist lang. Trotzdem: „Schwammig, schwammig“, murmelt ein Genosse in einer der hinteren Reihen.

Dann dürfen Fragen gestellt werden. Mindestlohn von 8,50 Euro: „Was ist das wert?“, fragt ein Mann und erhält die Antwort, dass dies ja nur eine Untergrenze sei. Warum die SPD sich auf die Koalition einlasse, statt eine Minderheitenregierung zu verlangen? Weil es dann keinen Vertrag mit SPD-Handschrift gebe, „aber wir Merkel trotzdem wählen müssten – warum sollten wir so einen Scheiß machen?“, fragt Albig zurück. Warum nichts über Bafög im Vertrag stehe? Weil man in der letzten Verhandlungsnacht schlicht vergessen hat, das Thema hineinzuschreiben, gibt Stegner zu.

Mehrfach betont er, er fände es in Ordnung, wenn jemand Nein ankreuzt. Eigentlich. „Aber ich will euch sagen, wie die Folgen sind.“ Desaströs natürlich: Die Anti-Euro-Partei AfD könnte bei Neuwahlen einziehen oder die CDU die absolute Mehrheit holen. „Und natürlich brennt ihr alle darauf, Straßenwahlkampf zu machen“, fügt er hinzu und erntet noch ein pflichtschuldiges Stöhnen.

Ein trickreicher Fragesteller will wissen, ob Stegner bald mehr als einen Koffer in Berlin habe? Denn der könnte SPD-Generalsekretär werden, wenn Amtsinhaberin Andrea Nahles ins Kabinett einzieht. Stegner weicht aus: „Die Koffer stehen da, wo ich wohne.“

An einer Stellwand konnten die SPD-Mitglieder Klebepunkte bei Ja oder Nein zum Vertrag hinterlassen – die Ja-Spalte füllte sich schnell. Der Abend habe ihn nicht überzeugt, meint ein Juso-Mitglied. Aber zustimmen werde er. Und auch der Weißbärtige hat sich überzeugen lassen: „Es ist das kleinere Übel.“ESTHER GEISSLINGER