Wie frei ist der Freier?

PROSTITUTION Ist der Kunde „befreit“ durch die Legalisierung von Sexarbeit – oder profitiert er von einer Pervertierung der sexuellen Revolution? Ein Bericht über Sexkäufer

Ist der weibliche Intimbereich ein Heiligtum, das man nicht beschmutzen darf?

VON HEIDE OESTREICH

In der Welt der Freier wimmelt es von Abkürzungen. AV für Analverkehr, BB für „bare back“, ohne Gummi. EL für Eier lecken, ZK für Zungenkuss, FT für französisch total, also Oralverkehr bis zum Orgasmus. Wenn Freier sich über Huren austauschen, dann oft in solcher Kürzelsprache, die etwas Distanz vermittelt: „FT mit Schlucken war kein Problem. Alles lief mehr als korrekt ab, es kam sogar Girlfriend-Feeling auf“, schreibt „Nick“ in einem Forum über „Mia“.

Noch nie war Prostitution so sichtbar wie heute. Freier tratschen in Foren darüber, ob sie Sillies (Silikonbrüste) mögen oder nicht, oder dass sie neulich beim Doggy einen Krampf im Oberschenkel hatten. Bordellbesitzer werben in Talkshows für ihre Branche. Ist hier der Endpunkt der sexuellen Revolution zu besichtigen? Die Legalisierung der Prostitution als totale Befreiung? Oder als totale Verdinglichung des Sex? Es sind die Freier, die profitieren. Ins Wellnessbordell zu gehen, ist immer weniger ein Stigma. Sind die Freier die letzten Erben der sexuellen Revolution? Oder Zeugen ihrer Perversion?

Letzteres behauptet Alice Schwarzer. Freier sind „Nekrophile, die sich an sozial toten Frauen“ vergehen, so zitiert sie die englische Soziologin Julia O’Connell Davidson. Mit anderen Worten: Sie verdinglichen die Frau und nutzen dieses Ding für ihr Vergnügen. Sie verletzen die Menschenwürde der Hure. Ist das so?

„Solche Frauen wie die hier würde ich normalerweise nicht kriegen“, erklärt ein Bankangestellter der Fotografin Bettina Flitner, die eine Reihe Freier porträtierte. „Normalerweise muss ich eine Frau erst zweimal zum Essen einladen, das kostet mich 100 Euro – und dann wird vielleicht nix daraus. Hier klappt es sofort“, sagt der Kfz-Mechaniker. „Draußen bin ich zu schüchtern, jemanden anzusprechen“, sagt der Steuerfachangestellte.

Das klingt nicht nach sozial toten Frauen. Aber sehr nach warenförmigem Sex. Es besteht aber ein klarer Unterschied dazwischen, ob ich die Ware bin oder ob ich eine Ware anbiete. Ja, Sex kann eine Ware sein. Wenn man die Frauen als deren Verkäuferinnen ernst nimmt, dann fragt sich, mit welcher Legitimation Alice Schwarzer ihr Geschäft verbieten will. Christiane Howe, Sozialwissenschaftlerin, die Freier für ihre Doktorarbeit erforschte, nimmt denn auch viel moralisches Tremolo aus der Debatte: „Wer ist eigentlich aktiv bei der Prostitution?“, fragt sie. „Doch ja wohl die Frau. Sie bestimmt ihr Angebot und verhandelt, der Freier kann nicht einfach etwas anderes verlangen. Das ist ein ganz normaler Handelsprozess mit einem Dienstleistungsprofi auf Augenhöhe.“ Wenn es das nicht sei, liege das nicht an der Prostitution, sondern an der Situation, in der sie angeboten werde. Will sagen: Zu großes Hurenangebot verdirbt die Preise. Und Frauen, die ihre Rechte nicht kennen, können sie nicht durchsetzen. Auch Soziologe Udo Gerheim, der „Die Produktion des Freiers“, wie sein Buch heißt, erforscht hat, meint: „Die Interaktion hat kein klares Täter-Opfer-Profil. Die Gewalt geht vom Feld aus, in dem sie ausgeführt wird.“ Drogenstrich, Menschenhandel, Zwangsprostitution, die Alice Schwarzer mit der Prostitution in einen Topf wirft, wollen die beiden ExpertInnen wieder davon lösen. Wobei Gerheim kritisch anmerkt, dass der Markt auf Männer zugeschnitten ist – Ausdruck des Patriarchats.

Howe vergleicht die Sexarbeit mit der professionellen Dienstleistung von Therapeuten: „Das sind auch durchaus intime Beziehungen.“ Die aber betreffen nicht den körperlichen Intimbereich eines anderen Menschen, möchte man einwenden. Doch Howe stellt auch das infrage. Ist der weibliche Intimbereich ein Heiligtum, das man nicht berühren, mit dem die Frau nicht tätig werden darf? Was, wenn sie ihren Körper einfach nutzt wie eine Masseuse? „Hinter diesem Bild vom Intimbereich steckt die alte christliche Unschuld, die der Frau angeblich geraubt werden kann. Dann ist sie beschmutzt.“

Die Prostituierte als Profi übernimmt für Howe eine ganz bestimmte Funktion im Patriarchat. Die aktive Frau gab es schon in puritanischeren Zeiten nur an einem Ort: Im Puff. Auch die sexuelle Revolution hat dieses Paradigma nicht aufgehoben. „Der Mann muss die Frau zum Orgasmus bringen. Er muss etwas leisten und wird danach beurteilt. Im Bordell ist es umgekehrt: Er kann sich einfach hingeben und sie ist die Aktive.“ Der Mann nimmt sich im Bordell quasi eine Auszeit von seiner Männerrolle. Und die Prostituierte nimmt die Position ein, die Ehefrau oder Freundin draußen nicht einnehmen können, weil das Weiblichkeitsbild eine sexuell aktive Frau bis heute nicht vorsieht: Er begehrt, sie wird begehrt.

Würde diese These stimmen, dann würden sexuell aktive Frauen und Männer, die sich auch zu Hause hingeben und gehen lassen können, der Prostitution zumindest einige Konkurrenz machen. Aber der Weg dahin ist noch weit. Dann müssten nämlich die Paare mal anfangen, über ihre Sexualität zu sprechen. Das aber tun die meisten immer noch nicht. „Es herrscht eine unglaubliche Sprachlosigkeit“, hat Howe beobachtet und Gerheim stimmt zu. Gerade in den Partnerschaften von Männern, die in den Puff gehen, wird kaum über Sex gesprochen.

Die Sprache, die den Freiern zur Verfügung steht, ist dafür auch kaum geeignet. Allzu deutlich ist von Service, von Job die Rede: CFS ist Covered Full Service. BJ ist der Blow Job. BFE die „Boyfriend Experience“, mit fast echtem Gefühl. Aber eben nur fast. Wer das echte will, braucht eine andere Sprache.

Heide Oestreich, Jahrgang 1968, ist Inlandsredakteurin der taz und kennt namentlich keine Freier, aber verdächtige Kubareisende beiderlei Geschlechts