Gefahren aus der Ferne erkennen

Ein Freund der kleinen Gesten: In Bodo Morshäusers Büchern geht es um liebeskranke Egomanen, allmähliches Verstummen und ein Leben an der Peripherie. Porträt eines Autors, der für sein Schreiben die richtigen Fragen und Räume gefunden hat

Misslingende Analyse: Verzerrt ist der retrospektive Blick auf die Liebe

VON ANDREAS RESCH

Das Intercity-Restaurant am Bahnhof Zoo, das Bodo Morshäuser für unser Treffen vorgeschlagen hat, ist ein merkwürdiges Etablissement. In dem riesigen, schlicht möblierten Raum hängt an einer Wand ein vergilbtes Triptychon mit Motiven aus der Ikonographie des Bahnwesens: schnelle Züge, freundliches Servicepersonal, grüne Landschaften. Die Kundschaft besteht zum Großteil aus Menschen auf der Durchreise. Insofern ist der Treffpunkt gut gewählt, denn auch Bruno, die Hauptfigur in Morshäusers neuem Roman „Beute machen“, ist als Pendler ständig zwischen Berlin und dem fiktiven Haarstadt unterwegs. Würde Bruno existieren, gut möglich also, ihm im Intercity-Restaurant über den Weg zu laufen.

Bodo Morshäuser ist ein Autor der kleinen Gesten. In „Beute machen“ wird das Scheitern der Liebe zwischen den Soap-Autoren Bruno und Antonia in einem so nüchternen Tonfall erzählt, dass man fast vergessen könnte, wie radikal doch alles auf der Perspektive Brunos beruht. Nur einige sorgfältig in den Text eingewobene Andeutungen verweisen auf eine Ebene jenseits des Subjektivismus desjenigen, der die Geschichte mit dem Abstand eines Jahres zu rekonstruieren versucht.

Das beredte Verstummen, das Liebende plötzlich überkommt, ist ein Thema, zu dem der 1953 in Berlin geborene und noch immer jungenhaft wirkende Autor immer wieder zurückkehrt. Schon in dem Gedicht „Nachtkaffee“ – aus seinem bisher einzigen Gedichtband „Alle Tage“ (1979) –heißt es: „Wie schnell es geht / nebeneinander stumm zu werden, obwohl / die Münder sich noch bewegen“. Warum er danach keine Gedichte mehr veröffentlicht hat? „Ich wollte mich ausschreiben. In einem Gedicht ist dafür zu wenig Platz“, erklärt der Autor und nimmt einen Schluck von seinem Weizenbier. Er begann, längere Texte zu schreiben.

Bodo Morshäusers Figuren bevorzugen die städtische Peripherie als Lebensraum: dem Zentrum noch nah genug, um genau beobachten zu können, aber selten im Mittelpunkt des Geschehens. Der Roman „Der weiße Wannsee“ (1993) spielt kurz nach der Wiedervereinigung; in ihm erkundet der Erzähler gemeinsam mit einem Freund, einem einst aus der DDR Ausgebürgerten, Brandenburg. Die „Liebeserklärung an eine hässliche Stadt“ (1998) wiederum ist eine Hommage an den Stadtteil Charlottenburg, mit dem Morshäuser eine innige Hassliebe verbindet. Der einstige Boheme-Bezirk wird als „Dorf“ beschrieben, in dem alternde Achtundsechziger sich gerieren, als seien sie noch immer zwanzig, und „Medienschaffende“ ihr Anderssein in peinlich zelebrieren: „Kurz vor achtzehn Uhr hetzte ein Filmarbeiter an die Fleischtheke und meinte, mich fragen zu müssen: ‚Wir Kreativen, warum kommen wir immer erst kurz vor achtzehn Uhr zum Einkaufen?‘ Ich kehrte mich ab.“

Die archaischen Züge zwischenmenschlicher Beziehungen, wie sie hinter allen Konventionen, das Verliebtsein nicht ausgenommen, lauern, sind dann das Thema von „Beute machen“. Bruno und Antonia können nicht mehr für eine gemeinsame Zukunft kämpfen. Ein „Wir“ kann nicht entstehen, weil beide nicht bereit sind, „ihre Ziele zu einem gemeinsamen zu korrigieren“, so sagt es Morshäuser. Während Bruno am Sein interessiert ist, „sinnlich leben möchte“, geht es Antonia ums Haben, möchte sie doch in der Firma nach oben kommen.

Dabei hatte alles so schön angefangen: Während eines Business-Treffens der Produktionsfirma, für die sie in verschiedenen Städten an der Daily-Soap „Nebenan“ arbeiten, verlieben sich Antonia und Bruno. „Ich hörte mich andauernd verlegen lachen. Wir bemühten uns um eine Sachlichkeit, die nur aufbringt, wer kurz davor ist, sich zu verlieren.“ Monatelang taumelt Bruno liebestrunken durchs Leben, dann aber geht etwas richtig schief: Als Bruno einen gemeinsamen Drehbuch-Entwurf bei einem Anwalt hinterlegt, veräußert er dabei sinnbildlich ihre Beziehung.

Im Gegensatz zu seinen Figuren erkennt Bodo Morshäuser Gefahren schon aus der Ferne. Deshalb ist das Buch auch keine Fundamentalkritik des Medienbetriebs geworden. Mit einer solchen würde man ja auch „ins offene Messer laufen“. Stattdessen ist „Beute machen“ eine Art Anti-Liebesroman, der – frei von jeder Sentimentalität – aus der Perspektive desjenigen erzählt wird, dem die Liebe bereits wieder abhanden gekommen ist und der nun versucht, rational nachzuvollziehen, was ihm da widerfahren ist. Was natürlich so nicht funktionieren kann: Der retrospektive Blick auf die Liebe ist immer ein verzerrter.

Die große Stärke von „Beute machen“ besteht darin, dass es Bodo Morshäuser gelingt, dieses Zerrbild durch dezent eingestreute Hinweise immer wieder momentweise zu korrigieren, dem Leser einen klaren Blick auf die Dinge zu gewähren, ohne dabei moralisch zu werden. Die Sprache Brunos ist die eines analysierenden Menschen, der – zurück im sicheren Hafen der urbanen Peripherie – die Vergangenheit vergeblich nach Sinn abklopft. Warum Liebe verstummt – auf diese Frage sucht Bodo Morshäuser seit fast dreißig Jahren eine Antwort. Die er kunstvoll nie findet.

Bodo Morshäuser: „Beute machen“. Frankfurt am Main, Suhrkamp 2006, 194 S.,19,80 Euro