Der Tod der Mayas und der Goldkröten

Elizabeth Kolberts „Depeschen von der Klimafront“ jagen auch abgebrühten Umweltveteranen leichte Schauder über den Rücken. In 420.000 Jahren war es nie wärmer auf der Erde

VON MANFRED KRIENER

Sehet, die Wüste holt sich das Land. Städte werden verheert, die Menschen hungern, die vornehme Frau leidet genauso wie die gemeine Magd. Sehet, die einst bestattet wurden, werden jetzt den Vögeln zum Fraß vorgeworfen.

Der Weise Ipuwer beschrieb mit drastischen Worten den Niedergang des alten ägyptischen Reiches. Der Feind, der die Ägypter schlug, hatte weder Steinschleudern noch imposante Heere. Die Vernichter hießen schlicht Trockenheit und Dürre. Das ägyptische Reich ging ebenso am Klimawandel zugrunde wie die Hochkultur der Mayas, das Reich von Akkad oder die Tiwanaku-Kultur am Titicacasee. In Bodenproben lassen sich heute auch Dürreperioden aus vorchristlicher Zeit nachweisen: In den seltsam leblosen Bodenschichten fehlen die Spuren der erdbewohnenden Insekten. Die Leere wird zum Zeugen des Untergangs.

Auch die buchstäbliche Austrocknung der Mayakultur, die mit Millionen Toten inzwischen die „schlimmste demografische Katastrophe der Menschheitsgeschichte“ genannt wird, konnte durch Sedimentbohrkerne belegt werden. Für die amerikanische Journalistin des Magazins New Yorker Elizabeth Kolbert ist der Hitzetod dieser Kulturen ein eindrucksvoller Beweis für das verheerende Potenzial von Klimaveränderungen. Sie besucht in ihrem Buch aber nicht nur Archäologen, sondern auch Amphibienexperten, Permafrostforscher oder Deichbauer, sie porträtiert Ozeanografen, Glaziologen und Ornithologen, sie sammelt erstaunliche Details zu den Folgen der Erderwärmung.

Dazu gehören auch die Emigrationsgeschichten von Schmetterlingen oder Stechmücken, die auf der Flucht vor dem Klima-GAU ihren Biorhythmus verändern oder einfach nach Norden ziehen. Ihr Buch ist kein apokalyptisches Geraune darüber, was in zehn oder zwanzig Jahren passieren könnte, sie versammelt konkrete Klimaspuren, die gegenwärtig in allen Ecken der Welt zu beobachten ist. Es sind aktuelle Momentaufnahmen des Klimawandels.

Das Besondere dieses Buchs: Die Autorin schreibt jenseits ausgetretener Pfade und in einer anderen Tonlage. Ihre „Depeschen von der Klimafront“ sind unaufgeregte Reportagen, die eine Reihe von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen bei ihrer Arbeit zeigen. Eigentlich ganz unspektakulär. Und doch packt selbst abgebrühte Umweltveteranen beim Lesen ein leichter Schauder. Ja, selbst Abonnenten des Greenpeace-Magazins werden in diesem Buch auf fast jeder Seite spannende Neuigkeiten finden.

Zum Beispiel über die Goldkröte. Tiere, schreibt Kolbert, haben grundsätzlich drei Optionen, um auf die im Schwitzkasten dampfende Erde zu reagieren: Sie können in andere, erträglichere Lebensräume abwandern, sie können sich anpassen oder sie können verschwinden, also aussterben. Die kleine Goldkröte ist eine „explosiv laichende“ Amphibienart, die nur zur Paarung an die Erdoberfläche kommt. Sie war das auffällig gefärbte Vorzeigetier in den Tilaranbergen Costa Ricas.

Die Goldkröten legten dort ihre Eier in kleine Tümpel und Pfützen, sie brauchten also viel Feuchtigkeit. 1987 hatte ein amerikanischer Biologe in den Laichtümpeln noch 1.500 Exemplare gezählt. Seitdem sind die Feuchtgebiete deutlich zurückgegangen. Als Konsequenz ist die Goldkröte – gemeinsam mit vielen anderen Amphibien – verschwunden. 19 Biologen aus der ganzen Welt haben in einer Studie die „Elastizität“ von 1.100 Tier- und Pflanzenarten angesichts der bevorstehenden Temperatur- und Niederschlagsveränderungen untersucht. Sie glauben, dass 15 Prozent der Arten bis Mitte dieses Jahrhunderts aussterben werden.

Zu den stärksten Passagen des Buchs gehören Kolberts Recherchen zum Permafrost. In Alaska tauen Böden auf, die seit 120.000 Jahren festgefroren waren. Die Arktis schmilzt. An den Bodentemperaturen lässt sich der Klimawandel leichter nachvollziehen. Lufttemperaturen verändern sich ständig, doch die Böden Alaskas waren schon seit ewig eiskalt. Inzwischen brechen Häuser und Straßen auseinander, weil der Dauerfrostboden auftaut und nachgibt. Vor allem aber: Die Permafrostböden sind riesige Kohlenstoffspeicher, die jetzt ihr Inventar freisetzen. Abgestorbene Bäume und Pflanzen, die seit Jahrtausenden in den Frostböden konserviert wurden, zersetzen sich jetzt. Dabei werden gewaltige Mengen Kohlenstoff und Methan frei. 450 Milliarden Tonnen Kohlenstoff sind, so Kolbert, in den Permafrostböden der Erde gespeichert. Wehe, wenn sie losgelassen!

Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Klimawissenschaften der letzten Jahre gehört die Auswertung der Eis-Bohrkerne. In der antarktischen Vostok- Forschungsstation wurde ein 3.580 Meter langer Bohrkern aus dem Eis geholt. Die tiefsten Eisschichten dieses Bohrkerns sind mehrere 100.000 Jahre alt. Damit verfügt die Wissenschaft über ein Klimaarchiv, das sich, so Kolbert, „über vier vollständige Eiszeiten erstreckt“. Die Auswertung zeigt, dass die gegenwärtige mittlere Lufttemperatur der Erde fast den historischen Höchststand der letzten 420.000 Jahre erreicht hat.

Zu Recht heißt es im letzten Satz: „Es erscheint unvorstellbar, dass eine technisch fortgeschrittene Zivilisation sehendes Auges ihre Selbstvernichtung betreibt, doch genau dies geschieht im Moment.“

Elizabeth Kolbert: „Vor uns die Sintflut. Depeschen von der Klimafront“. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. Berlin Verlag, 2006, 222 Seiten, 19,90 Euro