Sie singen „Viva Mandela“ für den Toten

SÜDAFRIKA Manche weinen, manche tanzen: Schon nachts versammeln sich Menschen in Trauer und Trost

„Es liegt nun in euren Händen“

NELSON MANDELA

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

Überall im Land zünden Menschen Kerzen an. Vor sein Haus legen sie Blumen und verharren im Gedenken. Sie singen alte Lieder aus dem Anti-Apartheidskampf und tanzen. Südafrika trauert um Nelson Mandela, der am Donnerstagabend im Alter von 95 Jahren nach langer Krankheit an den Folgen von Prostatakrebs gestorben ist.

Die Nachricht wirkte wie ein Schock, obwohl Südafrika sich seit Monaten darauf vorbereitet. Präsident Jacob Zuma verkündete den Tod des Nationalhelden in einer Fernsehansprache. „Dies ist der Augenblick unseres tiefsten Leides“, sagte Zuma. „Aber es muss auch der Moment unserer größten Entschlossenheit sein: Entschlossenheit, zu leben wie Madiba lebte, zu streben wie er strebte und nicht innezuhalten, bis wir seine Vision eines wahrhaft vereinten Südafrikas, eines friedlichen und wohlhabenden Afrikas und einer besseren Welt verwirklicht haben.“

Die Regierung erklärte Sonntag, den 8. Dezember, zu einem Tag des Gebets. Gläubige sollen in ihren Kirchen oder in ihren Heimen über den Weg Mandelas reflektieren, der ihnen zur Würde verholfen und ihnen Toleranz statt Hass gelehrt hat. Abschied nehmen wird Südafrika mit der ganzen Welt am 10. Dezember mit einer Gedenkfeier in Sowetos FNB-Stadion, einem Schauplatz der Fußball-WM von 2010. Dann wird Nelson Mandela drei Tage lang in den Union Buildings in Pretoria öffentlich aufgebahrt, dort, von wo er als der erste schwarze Präsident Südafrikas fünf Jahre lang regierte. Am 15. Dezember tritt Madiba seine letzte Reise an und wird in seinem Heimatdorf Qunu beigesetzt, in der Nähe seines Geburtsortes Mvezo im Ostkap.

Hubschrauber kreisten gestern Nacht nach der Verkündung des Todes von „Tata Madiba“ über Mandelas Haus. Die Polizei hatte den Straßeneingang abgesperrt. Autos parkten in allen umliegenden Straßen. Menschen gingen und standen herum, manche weinten und kamen, um Blumen niederzulegen und sich gegenseitig zu trösten, um beieinander zu sein.

Südafrika ist erst allmählich dabei, den Tod des geliebten Helden zu begreifen. Noch am Donnerstag hatten unüblich große Familientreffen in Mandelas Haus stattgefunden. Was viele Menschen ahnten, wurde kurz darauf wahr: Madiba hat den Kampf um sein Leben aufgegeben. Seit seines Krankenhausaufenthaltes im Juni hatte er sich nicht mehr erholt, er wurde von einem Ärzteteam in seinem Haus versorgt. Noch in dieser Woche hatte seine älteste Tochter Makaziwe Mandela erklärt, Mandela liege zwar im Sterben, doch er sei stark und kämpfe.

Es herrscht tiefe Trauer, aber die Menschen feiern zugleich das Leben und die Legende ihres Helden mit lautstarken Gesängen über seine Errungenschaften. Sie singen „Viva Mandela“, oder die Nationalhymne Südafrikas, oder auch Lieder vom Befreiungskampf, den Mandela zum Erfolg geführt hatte.

Mit Mandela geht der Vater der Nation, aber auch der Mann, der das Land nach Ende der Rassentrennung versöhnt hat. „Tata Madiba“ hat mit den Idealen von Gleichberechtigung und Vergebung den Hass zwischen Schwarz und Weiß überwunden. Die Wunden der Apartheid sind noch tief im Volk vorhanden, aber Südafrika hat sich eine neue nationale Identität zugelegt und feiert nächstes Jahr 20 Jahre Demokratie. Jetzt ohne Mandela. Er gab ihnen die Hoffnung, seinen Traum zu leben. Wenn auch in den letzten Jahren ohne seine Auftritte und moralischen Fingerzeige, war er dennoch weiterhin das Gewissen Südafrikas. Die große Herausforderung für sein Volk ist es jetzt, die Vision eines friedvollen, vereinten Südafrikas weiterzuleben. In Madibas Worten, die er schon 1999 nach seiner Pensionierung verkündete: Es liegt nun in euren Händen.