Doppelte Therapie, doppelte Rechnung

Baustellen der Gesundheitsreform – Teil 3: Krankenhäuser und Fachärzte konkurrieren um Patienten und Geld

BERLIN taz ■ So manchen Alkoholiker sieht Tom Bschor mehrmals. „Wir machen hier die Entgiftung, dann überweisen wir den Patienten zur Entwöhnung“, erklärt der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung des Jüdischen Krankenhauses Berlin. Doch der zweite Teil der Entziehungskur findet nicht mehr unter Obhut des Krankenhauses statt, denn die Rehabilitation wird aus der Rentenkasse bezahlt. Bis die entsprechenden Anträge bearbeitet sind und die Therapie losgeht, können Wochen vergehen. „In der Zwischenzeit sind viele Patienten schon wieder rückfällig, und die ganze Entgiftung war nutzlos“, berichtet Bschor frustriert.

Und so zweifelt und verzweifelt der Klinikarzt stets auf Neue an der strikten Trennung zwischen stationärem Krankenhausbereich und ambulantem Bereich der niedergelassenen Ärzte. Diese Zweiteilung gibt es nur im deutschen Gesundheitssystem. Jeder Sektor – der ambulante und der stationäre – hat sein eigenes Budget, eigene Vergütungsvorschriften und eigenes Personal. Die 130.000 Klinikärzte rechnen mit den Krankenkassen direkt ab, und zwar je nach Fall und Behandlung. Hinzu kommen 72.000 Fachärzte, die eine eigene Praxis haben. Sie bekommen ihr Geld nach einem Punktesystem von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zugeteilt.

„Durch die Trennung kommt es zu Doppeluntersuchungen, Informationsverlusten und Verzögerungen“, sagt Thomas Uhlemann vom wissenschaftlichen Institut der AOK (Wido). Eine Studie des Instituts ergab zum Beispiel, dass weiterbehandelnde Ärzte monatelang auf den so genannten Arztbrief ihrer Patienten gewartet haben, in dem steht, wie die Krankheit verlief und welche Medikamente verabreicht wurden.

Versuche, die Zonengrenze zu überwinden und die beiden Sektoren über eine so genannte integrierte Versorgung zu vereinigen, gibt es seit Jahren. So dürfen niedergelassene Ärzte ihre Patienten seit 1992 ambulant operieren. Und die Kliniken dürfen Verträge mit Ärzten, Reha-Kliniken und häuslichen Krankenpflegern schließen und Patienten auch nach der Entlassung weiter betreuen. Oder sie gründen gleich ein medizinisches Versorgungszentrum, in dem Patienten ambulant und stationär vom Schnupfen bis zum Schlaganfall behandelt werden.

Doch die Verzahnung läuft schleppend, weil beide Seiten ihre Budgettöpfe hüten und um Patienten konkurrieren. Den letzten Versuch für eine bessere Kooperation startete Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) 2004 mit dem Gesetz zur integrierten Versorgung. Seither gibt es auch ein gemeinsames Budget. Krankenhäuser und Kassenärzte steuern jeweils 1 Prozent aus ihren Töpfen bei, macht zusammen 680 Millionen Euro pro Jahr, die für gemeinsame Projekte zur Verfügung stehen. Ursprünglich sollte diese Anschubfinanzierung nur bis Ende dieses Jahres bereitstehen, doch SPD und Union erwägen, ein weiteres Jahr dranzuhängen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt das, bemängelt aber, dass das Ziel, mehr Bewegung in die starren Fronten zu bringen, bisher nicht erreicht worden sei. „Die Kassenärztlichen Vereinigungen hintertreiben systematisch unsere Bemühungen, mehr ambulante Dienste anzubieten“, klagt ein Sprecher der DKG. Stattdessen werde aus Sorge um das eigene Terrain an der sektoralen Struktur festgehalten.

Hoffnung knüpft die Krankenhauslobby an die jüngste Änderung des Vertragsarztrechts, die die Gründung medizinischer Versorgungszentren erleichtert. Gleichzeitig dürfen niedergelassene Ärzte auch Zweitpraxen gründen und Kollegen anstellen. „Das Gesetz fördert nicht die Integration, jetzt herrscht lediglich Waffengleichheit“, bilanziert Uhlemann. Der Kampf um den Patienten geht also weiter. ANNA LEHMANN